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bestehen. Unsere Generation wäre die erste, die den Anforderungen
der Zeit, ohne deren ungeheures Gewicht verkleinern zu wollen, nicht
entspräche und unsere Interessen in der Welt nicht zu wahren ver
möchte. Wir brauchen bloß nichts zu tun, dann wird von außen über
uns bestimmt. Wo viele andere kleine Staaten sich zur Freiheit er
heben, wäre es unbegreiflich, die unsere zu verlieren. Und es wäre
eine verhängnisvolle Illusion, zu glauben, ein in einem anderen Staat
eingegliedertes Liechtenstein hätte per Saldo weniger wirtschaftliche
Opfer zu bringen. Was hingegen anders wäre, wäre der Umstand,
daß wir nicht mehr selbst die Verantwortung für die zu bringenden
unpopulären wirtschaftlichen Opfer auf uns nehmen müßten, weil
sie fremdbestimmt würden. Vertreter beider politischen Parteien
haben im letzten Krieg einmal Unterschriften unter den Bürgern für
unser Land gesammelt. Es könnten wieder solche Zeiten kommen.
Das hat nichts mit Untergangsstimmung zu tun, wohl aber mit der
Erkenntnis, daß ein kleiner Staat — ganz anders als die Großen —
in seiner ganzen Existenz herausgefordert ist. Die Welt würde ohne
die Kleinen zwar keineswegs reicher, sondern ärmer. Wir aber wür
den nicht nur ärmer. Denn, was es für einen Franzosen hieße, nicht
mehr Franzose zu sein, für einen Schweizer nicht mehr Schweizer,
das würde auch für uns, bei vollem Akzept einer entsprechenden
europäischen und weltweiten Einordnung, die Tatsache bedeuten,
nicht mehr Liechtensteiner zu sein. Das britische Weiß-Buch 1971
über den Beitritt zum Gemeinsamen Markt beschließt die allgemei
nen Erwägungen mit dem Satz: «Every historic choice involves
challenge as well as opportunity» 25 ) (in Übersetzung: «Jede histo
rische Entscheidung involviert Herausforderung ebensogut wie
Chance»). — Das gilt ebenso für uns. Aber wir werden die Chance
nicht ergreifen, ohne auch die Herausforderung anzunehmen.
15 ) White Paper, «The United Kingdom and the European Communities», July 1971, Para 66.