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sonders daran gelegen ist, den Zusammenhalt über die Trennung zu
stellen und das Recht über das Gewicht der Macht. Ganz sicher wer
den sie nicht viel stören. Mit solchen Grundentscheidungen wird letzt
lich beispielsweise für manche europäisch Gesinnte die Frage beant
wortet, was es mit einem gemeinschaftlichen Europa auf sich habe.
So bekräftigte beispielsweise auch die Haager Gipfelkonferenz von
Ende 1969, allerdings ohne die kleinen Staaten speziell anzuvisieren,
daß die EWG ihre Ziele «unter Wahrung der nationalen Eigenart
der europäischen Staaten» verfolge 16 ). Europa als Gemeinschaft kann
nicht Auslöschen aller heißen und schon gar nicht «Ausradieren»
einiger durch die anderen.
Dennoch tut Liechtenstein gut, über alle möglichen Variationen nach
zudenken, wo es um seine Zukunft geht.
Wenn Sie mich fragen, was ich persönlich für Liechtenstein als beste
Lösung halte, so ist es, falls sie möglich ist, die erste Variation, die
der Mitwirkung in der Integration allgemein und in Europa als echter
Partner. Sie ist die natürlichste Lösung. Mit dem zunehmenden Sub
stanzverlust des Zollvertrages wäre auch ein neues partnerschaftliches
Verhältnis zur Schweiz zu begründen. Vizeregierungschef Dr. Walter
Kieber hat wohl aus solchen Gründen in einer Rede am 5. Juli 1971
erklärt: «Wir sollten den Mut haben, mit der Schweiz über neue
Modalitäten unserer Integration zu reden» 17 ). Vielleicht könnte die
Schwächung des Zollvertrages durch weitere Zusammenarbeit auf
kulturellen Gebieten aufgewogen werden. Liechtenstein durfte in
langen Jahren auch die Freundschaft und das Wohlwollen des im
Rahmen der Verträge diensttuenden schweizerischen Personals und
vieler hervorragender Persönlichkeiten, die ihm vorstehen, erfahren.
Dies möchten wir auch in Zukunft nicht missen. Mit der Schweiz
verbinden uns aber nicht nur eine Vielfalt bewährter gutnachbarlicher
und vertraglicher Beziehungen, sondern eine Verwandtschaft des
Denkens über Gesellschaft und Staat. Ein Schweizer Botschafter hat
mir Ende 1969 die Sätze geschrieben (in Übersetzung): «Glauben Sie
mir, daß ich mich insbesondere gefreut habe, festzustellen, bis zu
welchem Punkt unsere beiden Länder sich nahe sind, nicht nur durch
die Tatsache der Geographie, sondern vor allem durch eine Philo
sophie und ein Verhalten vor den Menschen und dem Leben der
Völker, die uns gemeinsam sind.» Auch mit Österreich besteht freund
schaftliche Verbundenheit in der Gegenwart und durch jahrhunderte
lange gemeinsame Geschichte und Kultur und durch viele übemom-
# ) Schlußcommuniquf der Haager Gipfelkonferenz der EWG-Staaten vom 1./2. 12. 1969.
17 ) Rede am Parteitag der Fortschrittlichen Bürgerpartei, j. 7. 1971, Seite 9.