Volltext: Fragen an Liechtenstein

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Sollte unsere Wirtschaft — realistisch gesehen — ihre Effizienz, ihre 
Konkurrenzfähigkeit verlieren, sollte ihr Weiterbestand im inten 
sivierten internationalen Wettbewerb gefährdet sein, so werden alle 
politischen Entscheidungen von vornherein dadurch präjudiziert. 
Aber die großen Fragen dürfen nicht aufgrund der Effizienz der 
Wirtschaft allein beantwortet werden. Hintergründig stellt sich die 
Frage nach der Staatsidee, die Frage nach der Selbstbehauptung 
Liechtensteins. 
Ist Selbstbehauptung eines Kleinstaates, der für seine Existenz eine 
offene Volkswirtschaft und eine relative politische Abgeschlossenheit 
braucht, in einem integrierten Europa möglich? Es ist dies ein Opti 
mierungsproblem zwischen antinomischen Zielen: Es wird darum 
gehen, ein Optimum zu finden, von Teilnahme am integrierten Europa 
unter Beibehaltung von Strukturen und Werten, von denen wir nicht 
abgehen wollen, weil wir wissen, daß es ohne sie Liechtenstein nicht 
mehr geben könnte. 
Wie kann dieses Optimum erreicht werden? Durch Vollbeitritt als 
Maximallösung oder durch Assoziation unter gewissen Vorbehalten 
als Minimallösung? Sowohl durch Vollbeitritt als- auch durch Asso 
ziation zur EWG müssen effektive Souveränitätseinbußen in Kauf 
genommen werden. Professor Bindschedler kommt in diesem Zu 
sammenhang in einem Vortrag über schweizerische Außenpolitik zur 
Ansicht, daß der Vollbeitritt einer Assoziation vorzuziehen sei. In 
einem Bericht über den Vortrag heißt es, ich zitiere: «Minister Bind 
schedler hält einen Beitritt zur EWG für möglich; wohl müßte 
er unter NeutralitätsVorbehalt erfolgen und der Überfremdungs- 
gefahr Rechnung tragen. Doch sind diese Einschränkungen durch 
einen Vollbeitritt eher zu erreichen, als durch eine bloße Assoziation, 
die von der EWG aus gesehen institutionell immer unmöglicher wird. 
Der Assoziierte hätte auf jeden Fall das EWG-Recht zu übernehmen 
und würde rasch zum Satelliten herabgedrückt.» (Zitat nach NZZ, 
Nr. 403, 30. Jahrgang, 1967.) Zwar bildet das durch de Gaulle in die 
EWG hineingebrachte hegemoniale Element für die Kleinstaaten eine 
besondere Gefahr, und diese Gefahr ist durch sein Ausscheiden nicht 
gebannt. Es wäre sehr wohl möglich, daß die Führung von Frank 
reich an Deutschland übergeht. Ein Beitritt Englands zur EWG aber 
müßte diese Situation wesentlich ändern. Die gleichzeitige Beteili 
gung Deutschlands, Frankreichs und Englands an einem europäischen 
Zusammenschluß läßt eine hegemoniale Lösung eher unwahrschein 
lich werden. Ich bin daher der Auffassung, daß ein Kleinstaat gegen 
über einer Annäherung an die EWG in ihrem jetzigen Entwicklungs 
stadium und ihrer jetzigen Zusammensetzung große Vorsicht walten
	        

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