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3. Die nationalstaatliche Idee
Blieb vor Jahren eine weltoffene, kosmopolitische Sicht einer kleinen
wohlhabenden Gesellschaftsschicht Vorbehalten, so kommen heute
die Bürger in ständig zunehmender Zahl durch die Massenmedien
oder durch eigenes unmittelbares Erleben mit fremden Ländern und
Völkern in bereichernden Kontakt.
So steht das eigene Land insbesondere dem jungen Menschen auf
Grund seiner umfassenderen Ausbildung weit weniger im beherr
schenden Mittelpunkt, als es dies für die ältere Generation noch der
Lall war. Nationale Gesichtspunkte für die Lormung des politischen
Urteils treten immer mehr in den Hintergrund. Dies gilt in vermehr
tem Maße für den Bürger eines Kleinstaates wie Liechtenstein, der
nicht in der Lage ist, am Weltgeschehen teilzunehmen. Wen mag es
da verwundern, wenn vereinzelt Stimmen laut werden, die das Ein
treten für die Eigenexistenz eines Kleinstaates als überholt halten. Sie
weisen darauf hin, daß insbesondere die für die Kleinstaaten be
stimmenden Entscheidungen nicht mehr auf nationalem, sondern auf
internationalem Boden gefallt würden. Eine Abtretung und Übertra
gung von eigenstaatlichen Kompetenzen auf eine umfassendere Ge
meinschaft bedeute nichts anderes als die Konsequenz dieser Rechts
entwicklung.
Es trifft zwar zu, daß Staaten in Lebensbereichen, die einer Ord
nung bedürfen, für eine bestimmte oder unbestimmte Zeit auf eine
eigenständige Regelung verzichten und einer gemeinsamen Regelung
durch eine internationale Gemeinschaft zustimmen. Damit gehen sie
aber keineswegs der Geschlossenheit der Staatsgewalt verlustig. So
wäre z. B. im internationalen Straßen-, Eisenbahn- und Flugverkehr
der Gedanke einer eigenständigen Regelung abwegig, da ein Staat
sich in diesen Bereichen einer Gemeinschaftsordnung praktisch gar
nicht mehr entziehen kann.
Der angedeuteten Meinung steht auch die Tatsache gegenüber, daß
der Gedanke einer Abtretung von Souveränitätsrechten, wie er etwa
im Ausdruck «supranationale Gemeinschaft» aufscheint, der keines
wegs eine authentische Interpretation des Charakters der euro
päischen Gemeinschaften darstellt, findet in den wichtigsten euro
päischen Verträgen keiinen Anklang. Georg Erler (Das Grund
gesetz und die öffentliche Gewalt internationaler Staatengemein
schaften) führt dazu aus, daß sich der Terminus «supranational»
nur im Montanvertrag und hier nur an versteckter Stelle
finde, während er in den Verträgen über die Europäische Wirt
schaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft über