20
Und selbst wenn es nicht so kommt — was wir hoffen—, befindet
sich ein Staat mit 22 000 Einwohnern im Zeitalter der Supermächte
und der Machtkonzentrationen vor einer Herausforderung — zwar
in anderer Art, aber — vergleichbar mit Israel. Dennoch ist bei allem
Zug ins Große auch eine Entwicklung zum Pluralismus, zur Dezen
tralisation festzustellen. Wir erleben dies auch in der katholischen
Kirche. Präsident Nixon will die USA dezentralisieren, weil die Zen
trale funktionsunfähig, uneffektiv und zur Gleichschaltung aller ge
worden ist. Frankreich, der Einheitsstaat par excellence, laboriert an
einer Verstärkung der Regionen, Italien desgleichen. Bei aller Kon
zentration ist gleichzeitig eine Befreiungsbewegung in Gang gekom
men, ein Trend zur Dezentralisation mit vermehrter individueller
Freiheit, die im großen Gebilde verwehrt bleibt. Wie dem auch sei,
unser Staat ist in das Drama machtvoller Entwicklungen einbezogen.
Wenn wir aber unseren Staat ernst nehmen und seine physische
Schwäche versuchen auszugleichen, indem die spezifisch kleinstaat
lichen Strukturen starkes und sichtbares Profil gewinnen im Bewußt
sein und im Handeln der Politik, dann wird auch der Respekt von
außen — das ist immer so — nicht versagt bleiben. Liechtenstein
könnte so in der Welt von morgen und eingeordnet in das Ganze —
der sehr beschränkten Rolle eingedenk — Beitrag zu einer humanen
Ordnung sein. Das Humane aber ist das, dem immer mehr die
Hauptsorge gilt in unserer unruhigen und gewalttätigen Zeit.
Doch wir müssen unseren Staat, das Geschenk von 1806, so wie es
ist mit allen Konsequenzen ganz annehmen. Es ist nicht mehr das zu
fällige Geschenk von 1806. Denn in den 165 Jahren freien und un
abhängigen Bestandes dieses Staates mit seiner herrlichen Landschaft
ist liechtensteinische Geschichte miteingeflossen, irgendwie auch
eigene Bewährung und dauerndes Wohlwollen des Himmels. Es ist
nicht mehr Zufall. Viel ist in diesem Staat durch unsere Ahnen, un
sere Kindheit, unsere Erlebnisse und Aktivität. Er ist unser Eigenes
geworden, um das uns die Welt beneidet und das radikale Anhäng
lichkeit verdient, weil es auch Zukunft hat. Dr. Carl Schädler, Ver
treter Liechtensteins im Frankfurter Parlament des Deutschen Bun
des und erster Landtagspräsident, erklärte bei der Eröffnung des
ersten Liechtensteinischen Landtags am 29. Dezember 1862: «So wird
es uns allmählich gelingen, den geistigen und materiellen Zustand un
seres Landes zu heben und ... einen auf die Institutionen des Lan
des ... stolzen Bürger zu bilden» — und ich möchte hinzufügen: —
in einem Staat, der auch unseren Kindern ein menschenwürdiges Da
sein sichert und Ansehen und Wohlwollen genießt in der Staaten
ordnung von morgen.