Volltext: Fragen an Liechtenstein

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Und selbst wenn es nicht so kommt — was wir hoffen—, befindet 
sich ein Staat mit 22 000 Einwohnern im Zeitalter der Supermächte 
und der Machtkonzentrationen vor einer Herausforderung — zwar 
in anderer Art, aber — vergleichbar mit Israel. Dennoch ist bei allem 
Zug ins Große auch eine Entwicklung zum Pluralismus, zur Dezen 
tralisation festzustellen. Wir erleben dies auch in der katholischen 
Kirche. Präsident Nixon will die USA dezentralisieren, weil die Zen 
trale funktionsunfähig, uneffektiv und zur Gleichschaltung aller ge 
worden ist. Frankreich, der Einheitsstaat par excellence, laboriert an 
einer Verstärkung der Regionen, Italien desgleichen. Bei aller Kon 
zentration ist gleichzeitig eine Befreiungsbewegung in Gang gekom 
men, ein Trend zur Dezentralisation mit vermehrter individueller 
Freiheit, die im großen Gebilde verwehrt bleibt. Wie dem auch sei, 
unser Staat ist in das Drama machtvoller Entwicklungen einbezogen. 
Wenn wir aber unseren Staat ernst nehmen und seine physische 
Schwäche versuchen auszugleichen, indem die spezifisch kleinstaat 
lichen Strukturen starkes und sichtbares Profil gewinnen im Bewußt 
sein und im Handeln der Politik, dann wird auch der Respekt von 
außen — das ist immer so — nicht versagt bleiben. Liechtenstein 
könnte so in der Welt von morgen und eingeordnet in das Ganze — 
der sehr beschränkten Rolle eingedenk — Beitrag zu einer humanen 
Ordnung sein. Das Humane aber ist das, dem immer mehr die 
Hauptsorge gilt in unserer unruhigen und gewalttätigen Zeit. 
Doch wir müssen unseren Staat, das Geschenk von 1806, so wie es 
ist mit allen Konsequenzen ganz annehmen. Es ist nicht mehr das zu 
fällige Geschenk von 1806. Denn in den 165 Jahren freien und un 
abhängigen Bestandes dieses Staates mit seiner herrlichen Landschaft 
ist liechtensteinische Geschichte miteingeflossen, irgendwie auch 
eigene Bewährung und dauerndes Wohlwollen des Himmels. Es ist 
nicht mehr Zufall. Viel ist in diesem Staat durch unsere Ahnen, un 
sere Kindheit, unsere Erlebnisse und Aktivität. Er ist unser Eigenes 
geworden, um das uns die Welt beneidet und das radikale Anhäng 
lichkeit verdient, weil es auch Zukunft hat. Dr. Carl Schädler, Ver 
treter Liechtensteins im Frankfurter Parlament des Deutschen Bun 
des und erster Landtagspräsident, erklärte bei der Eröffnung des 
ersten Liechtensteinischen Landtags am 29. Dezember 1862: «So wird 
es uns allmählich gelingen, den geistigen und materiellen Zustand un 
seres Landes zu heben und ... einen auf die Institutionen des Lan 
des ... stolzen Bürger zu bilden» — und ich möchte hinzufügen: — 
in einem Staat, der auch unseren Kindern ein menschenwürdiges Da 
sein sichert und Ansehen und Wohlwollen genießt in der Staaten 
ordnung von morgen.
	        

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