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Wir müssen uns damit abflnden, daß wir keine Divisionen aufstellen
und keine Apollo-Programme durchführen, ja nicht einmal die vierte
Finanz-und zwölfte Handelsmacht der Welt werden wie die Schweiz.
Dennoch machen die vier Elemente den Kleinstaat zu einem überaus
modernen und zukunftsbezogenen Gebilde, das aller Anstrengung
wert ist. Modell humaner Ordnung könnten die vier Elemente sein:
Geltung der Person, Friedensordnung, Solidarität und Kommuni
kation. Doch müssen wir uns erst auf die Grundlagen einigen. Sind
aber die, meines Erachtens aus dem Kleinstaat natürlich herzuleiten
den, Strukturelemente als solche akzeptiert, dann wird die Phantasie
nicht fehlen, um vieles spezifisch Liechtensteinische daraus zu machen
mit dem Willen, dafür, auch mit Opfern, einzustehen; denn sonst ist
alles leere Deklamation, unglaubwürdig, ineffizient.
Es wäre meines Erachtens nicht übertrieben, wenn Liechtenstein z. B.
ein Zehntel seiner staatlichen Einnahmen, an die jährlich das Aus
land viel beiträgt, für die Programmpunkte zwei und drei (Friedens
ordnung und Solidarität) abgeben würde. Es ließe sich viel daraus
machen. Unser Außenverhältnis würde enorm verstärkt. Andere
Staaten geben allein für Militär 20% und mehr ihrer Budgets aus.
Und wenn wir es nicht aus Menschlichkeit tun und uns die Einsicht
in die heutigen Realitäten und die Interdependenz der Staaten fehlt,
so tun wir es wenigstens aus dem «sacro egoismo» (Salandra), um
uns Ansehen und Freunde zu verschaffen, die wir brauchen.
Wir brauchen einen neuen Realismus, der die Zusammenhänge in der
Welt sieht, und die Realität, die den Kleinstaat ausmacht, akzeptiert.
Wie die Schweiz beispielsweise mit ihren Strukturelementen des Zu
sammenlebens von vier Kulturen, des Schutzes der Minderheiten Vor
bild und Modell ist, so könnten unsere Strukturelemente Maximen
sein für eine spezifisch liechtensteinische Politik. Aber wir müssen
unsere eigene liechtensteinische Sprache lernen. Wir müssen heraus
aus der Verfremdung und müssen wesentlich werden und Überein
kommen mit unserer eigenen Identität und uns realistisch mit beiden
Beinen in die Welt von heute stellen.
Dann wird daraus auch ein starkes liechtensteinisches Staatsbewußt
sein entstehen. Auf gemeinsamer Grundlage fände auch die Partei
politik möglicherweise eine neue Gestalt.
Doch hat dies alles einen Sinn, wenn der Kleinstaat vielleicht gar
keine Chance mehr hat? Wir wissen zwar nicht, was die Zukunft
bringen wird. Auf einem alten französischen Gobelin auf Schloß
Vaduz stehen die Worte: «prudentia fato minor.» Die menschliche
Klugheit ist kleiner als das Schicksal. Es kann Katastrophen geben,
die über Völker hinwegbrausen und das Gesicht der Erde verändern.