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besondere Probleme. In neuester Zeit sind Abhandlungen über die so
genannten Mikrostaaten erschienen, in denen u. a. vorgeschlagen
wird, die Staatswesen bezüglich der UNO zu einer Gruppe von Ein
heiten verminderter Staatlichkeit (z. B. ohne Stimmrecht in der UNO
u. ä.) zu zählen. Es besteht ein Expertenausschuß der UNO, um das
Problem der Mikrostaaten zu studieren. Das sind aufregende Pro
bleme. Das weltweite Zusammenrücken wird uns immer mehr vor
einen Kampf um Sein oder Nichtsein unseres Staates stellen.
Die äußere Gefährdung wird unterstützt von einer inneren Bewußt
seinsschwäche und folglich einem schwachen Willen zum Staat. Wir
spüren doch den unbehaglichen Zustand, in dem wir uns befinden.
Der Zweifel macht sich breit. Bei einigen äußerst er sich in einem
Apres-nous-le-deluge-Verhalten. Jemand sagte mir vor wenigen Ta
gen: «Lange dauert’s nicht mehr, holen wir noch heraus, was geht.»
Andere leiden darunter. Die Jugend, deren Zukunft im Spiel ist,
fängt an aufzubegehren und engagiert sich. Im Aufruf zur bekannten
Demonstration vom Freitag, den 5. März 1971 (nach dem negativen
Volksentscheid über das Frauenstimmrecht), schreiben die Schüler des
Liechtensteinischen Gymnasiums die besorgten Worte: «Diese Schlag
zeile (Liechtenstein bleibt der einzige Staat ohne Frauenstimmrecht),
die bereits die ganze Weltpresse durchwandert hat und einmal mehr
Liechtenstein als ernst zu nehmenden Staat in Frage stellt, veranlaßt
uns zu einer öffentlichen Stellungnahme.» Bei einer Diskussion in der
Maturaklasse des Gymnasiums vor anderthalb Jahren war die erste
an mich gestellte Frage: «Hat unser Land noch eine Existenzberech
tigung?»
Die Lage fordert uns total heraus. Wir sind angefochten von außen.
Wir sind es auch von innen: unser staatliches Bewußtsein ist schwach.
Ja unser Staat selbst ist schwach wegen der engen Begrenztheit von
Staatsgebiet und Staatsvolk; dies nicht wahrhaben wollen, wäre
Großmannssucht und töricht. In vielem sind und bleiben wir abhän
gig. Doch unterliegen selbst die größeren und großen Staaten einer
wachsenden internationalen Verflechtung und Interdependenz. Und
notieren wir auch das Positive: unsere außerordentlich günstige geo-
politische Lage im Zentrum Europas. Aber anstatt die kleinstaat
lichen Begrenztheiten durch ein stärkeres spezifisches Gewicht unse
res Bewußtseins teils wettzumachen, sind wir, obwohl wirklich her
ausgefordert, auch bewußtseinsmäßig schwächer als die andern. Doch
ein Aufblasen eines leeren Ballons hülfe nicht weiter. Wenn nichts da
ist, ist auch nichts daraus zu machen. Nur ein Nachdenken über die
Strukturelemente unseres Staates wird weiterhelfen, eine Analyse
darüber, ob die Begrenztheit für den Kleinstaat mangels Substanz