«Ehre dem Alter»
Aus «Frohe Botschaft an die Gemeinde Vaduz» von Pfarrer Ludwig Schnüriger
Es herbstelet, wie man zu sagen
pflegt: Die Schwalben ziehen
und die Senioren fahren aus. Im
Zeitungsblatt sind danach schöne
Berichte zu lesen: Wohlgelun-
gene Rundreise, währschaftes
Essen im «Hecht», Harmoniemu-
sik samt reizenden Trachtenmäd-
chen, und mitten unter denen,
die immerhin noch an ihn glau-
ben, ein seelenvergnügter Pfar-
rer! Aber alle diese Gefeierten
sind ja nicht nur an einem einzi-
gen Fest, sondern während des
ganzen Jahres betagt und stehen
etwas am Rande der geschäftigen
und munteren Gesellschaft.
Darum meint er, ihnen ein paar
Gedanken für die 364 alters-aus-
flugs-freien Tage vorlegen zu
müssen.
Das Kind will liebevoll in diese
Welt eingeführt werden; die alten
Menschen bedürfen ebenfalls
wieder des gütigen Beistands,
damit sie den Höhepunkt und
Ausklang ihres Lebens glücklich
erfahren.
Die späten Tage werden nämlich
recht verschieden betrachtet.
Manche sehen sich wie im Warte-
saal des Todes, mit ähnlichen
Gefühlen wie im Vorzimmer
beim Zahnarzt, wo man seine
Zeit nutzlos vertrödelt, in zer-
schliessenen Heften blättert, aber
auch beim Anblick attraktiver
Starfotos kaum mehr Lebens-
freude empfindet; nebenan surrt
leise ein Bohrer und man wird
bald als «Der Nächste, bitte» auf-
gerufen ...
Genauso lassen Leute ihre alten
Tage ungenutzt, übelgelaunt und
ängstlich verstreichen, man Ver-
steht die Welt nicht mehr und
rollt sich ein wie der Igel.
Jene aber, die durch lange Erfah-
rung und religiöse Haltung weise
geworden sind, sehen den Herbst
des Lebens als eine Gnadenzeit,
wo man bedächtig am ganzen
Lebenswerk noch Hand anlegen
kann, das und jenes verbessernd
und mit Geduld ergänzend.
Allein durch ihr Dasein erfüllen
sie einen Dienst in der
Gemeinde: Kinder sind lachende
Frühlingsboten des Lebens,
Erwachsene haben Leistungen
zu erbringen, die Alten dürfen
die gereifte Menschlichkeit vor-
ijeben und ihre Erfahrung weiter-
schenken, die nicht aus Büchern
zu lernen ist.
Erlebnis einer selten unbe-
schwerten, vielmehr harten
Jugend in jener zu Unrecht
gerühmten «Guten alten Zeit».
Man hatte lernen müssen, dass
Wände härter sind als der eigene
Kopf. Bilder ziehen an ihrem
geistigen Auge vorüber: Das
erste scheue Küsschen — man
war schliesslich auch einmal ein
blühendes Mädchen und ein
strammer Bursche gewesen. Die
Hochzeitsglocken, die vielleicht
erst spät oder gar nie läuten woll-
ten.
Schwere Jahre einsamer oder
gemeinsamer Last, der tapfere
Einsatz, die schönen Erfolge. Sie
kramen verblasste Bilder hervor,
lächeln und spüren ganz deutlich
die Nähe längst heimgegangener
Lieben, denn sie sehen sich sel-
ber bereits nahe dem Gipfel eines
Berges, der in den wahrhaftigen
Himmel hineinragt.
Leider denken nicht alle so.
Wenn der Pfarrer da und dort
einen Silberhaarigen zur Beicht
ermuntern will, bekommt er
allenfalls zu hören: «Was soll ich
denn noch sündigen?» Schon
möglich, dass man nicht mehr
alles kann wie einst, dafür hat
man sich vielleicht neue Unarten