Schwerpunkte im Vergleich mit der grossen kubisti-
schen Schule oder der absoluten Abstraktion eines
Kandinsky. Hier entscheiden sich heute noch Schick-
sale in der Kunst. Erwächst das bei Nigg aus Beschei-
denheit, menschlicher Zuneigung oder aus einem
nneren Bedürfnis seiner inneren Schau? Oder war das
brutale Morden im Ersten Weltkrieg der Grund für das
Nachlassen und Vertrauen in diese grossen Projektio-
nen der reinen Abstraktion? Bei vielen Künstlern ist
dieser Umstand nachzuvollziehen. Manchmal mag bei
der Betrachtung eine gewisse Enttäuschung aufkom-
men, wenn nur auf die Seite des damaligen grossen
Aufbruchs und auf die Kraft der Abstraktion gesetzt
wird oder wenn nur der gegenständlichen Expressivi-
tät der Vorzug gegeben wird. Unsere beiden Nigg-Bio-
graphen, Kanonikus Anton Frommelt und Evi Kliemand,
haben jeweils auf ihre eigene Weise die Situation
Niggs erkannt.
Sie sind nicht eingeschriebene, aber geistige Mitglie-
der der Stiftung. Mit Pfarrer und Maler Anton Frommelt
und Evi Kliemand, Malerin und Schriftstellerin, stand
ich immer in nahem Dialog. Sie sind es, auf deren Mit-
arbeit die Stiftungen zählen konnten, die vornehmlich
das Bild von Ferdinand Nigg erstellten, also Nigg ein
Kleid gaben, indem sie eine geklärte Biographie schu-
fen und klare Äusserungen zu Malerei, Grafik und zu
den Textilien Niggs brachten. Sie waren auch ausser-
halb der Bücher bereit, durch andere schriftliche Bei-
träge und Vorträge mitzuhelfen, Brücken zum Publi-
kum zu bauen. Dass Nigg nun hier in Leipzig und in
Magdeburg ausgestellt ist, verdanken wir diesen lang-
jährigen Vorarbeiten. Anton Frommelt war bis zur Publi-
kation, welche die erste Nigg-Retrospektive in Balzers
im Jahre 1965 begleitete, der erste Biograph Niggs.
Dann, nach seinem langen Leiden und Tod — Anton
Frommelt. starb 1975 — übernahm Evi Kliemand die
Autorenschaft, zuerst 1977 mit der Abhandlung über
die Magdeburger Werkperiode. Eigenartig ist, dass der
gesamte Bestand dieser Werkperiode Niggs (fast
möchte ich sagen: noch nicht geordnet) in der Kanoni-
kus Frommelt Stiftung lag. Er selbst hat diese Werke
wohl gesammelt, sich aber nie ausgiebiger schriftlich
dazu geäussert. 1983 entschied sich die Ferdinand
Nigg Stiftung, Evi Kliemand mit der grossen Biographie
zu beauftragen. Durch diese Monographie wurde das
Bild erweitert, einige Bereiche neu aufgerollt und auch
von einer Jüngeren Generation besehen.
Noch ein Problem hat uns einige Zeit beschäftigt und
belastet. Nigg hat seine Wandbehänge nie präsentiert,
somit auch nie dafür vorbereitet. Wir standen vor dem
Problem der Aufmachung, der Präsentation und der
Pflege dieser so empfindlichen Kostbarkeiten. Frau
Marlene Erichson, Kassel, ehedem tätig an der Abegg-
Stiftung in Riggisberg, Bern, hat uns mit grosser fachli-
cher Kenntnis und Liebe diese Sorge abgenommen
und, wie wir meinen, bestens gelöst. Das auch zu
meiner persönlichen Entlastung.
Um ehrlich zu sein, man anerkennt manche Blätter und
Stickereien aus der ersten Kölner Zeit, die nach den
avantgardistischen, künstlerisch reinen Blättern aus
der Magdeburger Zeit entstanden, nur mit gutem Wil-
jen als eigentliche Kunst. Bei näherer Betrachtung des
Werdegangs von Nigg sind diese Arbeiten als Zwi-
schenphase zu sehen, weil dann ja in Köln Höhepunkte
wie der «Seltsame Ritt», «St. Georgs-Teppich» oder nur
als Beispiel die zwei Blätter «Unter dem Kreuz» und
das dann nach 1931 entstandene Spätwerk folgten.
Noch einige praktische Fragen tauchen wiederholt auf,
eine davon ist die der Datierung. Wir wissen, dass
Nigg grundsätzlich immer signiert, aber nie datiert hat,
ausgenommen einige Jugendarbeiten. Das ist nicht
Zufall. Aber in welcher Verbindung das steht, können
wir nur vermuten. Vielleicht unterliess Nigg das Datie-
ren, um sich total ungebunden in seiner Entwicklung
und seinem Vorgehen zu fühlen, oder um der Kunst
etwas Stetiges, von Zeit Unabhängiges zu geben?
Trotzdem ergaben sich durch manche Spuren, die Nigg
in Zeitschriften und Briefen hinterliess, über Erinnerun-
gen anderer und über intensive Betrachtung doch logi-
sche Abläufe und Vergleichsmöglichkeiten innerhalb
seines Lebenswerkes, und es konnten diese verschie-
denen Zeitabschnitte geklärt werden. Einige Werke
können genau datiert werden, wie z. B. die Gouachen
aus der Magdeburger Zeit. Die meisten Werke Niggs
aber können in Zeitabschnitte, Früharbeiten, Berliner,
Magdeburger, Kölner Zeit oder Spätwerk in Vaduz ein-
geordnet werden. Auch auf diese Frage gibt die Mono-
graphie von Evi Kliemand detailliert Auskunft und
Orientierung, soweit dies nach intensivem Nachfor-
schen möglich ist.