ZUR AUSSTELLUNG IN LEIPZIG
von Martin Frommelt
Die folgenden Äusserungen zu Ferdinand Nigg können
und wollen kein geschlossenes Bild seines Werkes
und seines Lebens geben. Sie enthalten einige Gedan-
ken, Empfindungen und Erinnerungen, die mir beim
mehrjährigen Umgang mit Ferdinand Nigg aufgekom-
men sind. Sie erwuchsen aus Momenten, die mich
freuten, in gewissen Bezügen auch enttäuschten,
dann begeisterten, beunruhigten und mich auch in das
Werk Niggs verliebt machten. Manchmal liebe ich ihn,
und alle Zu- und Einteilungen, alle Werteinschätzungen
finde ich dann belanglos.
Eingespannt in unser Jahrhundert, sind wir geprägt
von festgelegten Punkten und Wegen, die ein rückblik-
kendes Urteil ermöglichen. Etwas, was sich über Jahr-
zehnte in reghaften Auseinandersetzungen geklärt hat
und dann auch als Allgemeingut anerkannt wurde,
sozusagen zu einem Duden geworden ist, hat nun für
uns Gültigkeit. Im Werk Ferdinand Niggs ereignet sich
vieles, was in diesem «Duden des 20. Jahrhunderts»
Platz einnimmt, aber dennoch bleibt ein Rest, der
momentan nur schwer Einlass findet.
Auch kann die Frage gestellt werden, ob es gut war,
dass sich Ferdinand Nigg nach seinem fünfzigsten
Lebensjahr fast ausschliesslich der religiösen Thema-
tik verschrieben hat. Hier sei gleich vermerkt, dass Fer
dinand Nigg nicht Theologe, sondern eher Mystiker
und ein einfühlsamer Betrachter, ein Künstler war. Es
finden sich keine Äusserungen von Ferdinand Nigg, ob
diese Wandlung eine bewusste Entscheidung war
oder ob ihn sein Gemüt und sein Rückzug aus der äus-
seren Aktivität zu dieser Schau gelangen liessen.
Ferdinand Nigg setzte den künstlerischen Anspruch
der Thematik entsprechend hoch. Jeder Künstler, der
sich auf religiöse Themenkreise einlässt, kann entwe-
der durch hohe Kunst die Integration beider Ansprüche,
den der Kunst und den des Themas, erreichen, oder
er bleibt Verlierer. Ein beachtlicher Teil der der religiö-
sen Kunst verschriebenen Künstler sind «Verlierer». Es
braucht im 20. Jahrhundert eine besonders starke Ver-
anlagung, um in diesem Bereich der Kunst nicht nur
Epigone, sondern vitaler Künstler zu sein, dem auch
Gratwanderungen zuzumuten sind. Das fromme Wort
oder das grosse Thema entbindet nicht von der Ver-
pflichtung zu eigenständiger Kunst, das heisst zu neuer
Schöpfung im Eigenleben von Form, Farbe und Struk-
tur. Anderseits kann und will diese Thematik den
Künstler zu intensiven Schöpfungen in Form und Farbe
und zu besonderen Visionen verschiedener Gestal-
*ungsweisen anregen. Der Künstler läuft aber immer
Gefahr, sich in Mittelmässigkeit und längst bekannte
3ildfindungen zu flüchten, weil das religiöse Thema
den kollektiven wie den öffentlichen und zugleich den
persönlichen Bereich betrifft und er dadurch verschärf-
ter Kritik und Ablehnung ausgesetzt ist, oder ganz
ainfach' aus Mangel an eigener Kunstfähigkeit seine
aigene Schwäche zuzudecken mit dem Mantel des
Religiösen.
‚Nas macht ein junger Kunstlehrling, wie ich es damals
war, wenn er sich verantwortlich fühlt für die Werke
von zwei Menschen, die im liechtensteinischen Kultur-
eben von besonderer Bedeutung zu sein scheinen?
7ast schicksalhaft kündigte sich mir Ferdinand Nigg an,
ch war sechzehnjährig und in Dingen der Kunst noch
unkundig. Von meinem Onkel, Pfarrer Anton Frommelt,
‚wurde ich dazu angehalten, mich am Nachlass Ferdi-
nand Niggs zu erfreuen und davon zu lernen. Später
dann kam das Anliegen, das Werk beider Künstler der
nächsten Generation zu übermitteln.
Zerdinand Nigg starb 1949, vierundachtzigjährig. Anton
Frommelt wurde von der Steuer- und Erbkommission
vierzehn Tage nach dem Tode Ferdinand Niggs in das
verwaiste Haus gebeten, um den ratlosen Kommis-
sionsmitgliedern Hilfe zu leisten. Der «Lehrling» durfte
mitgehen. Für ein ganzes Jahr war der gesamte Nach-