Volltext: Ferdinand Nigg (1865-1949)

ZUR AUSSTELLUNG IN LEIPZIG 
von Martin Frommelt 
Die folgenden Äusserungen zu Ferdinand Nigg können 
und wollen kein geschlossenes Bild seines Werkes 
und seines Lebens geben. Sie enthalten einige Gedan- 
ken, Empfindungen und Erinnerungen, die mir beim 
mehrjährigen Umgang mit Ferdinand Nigg aufgekom- 
men sind. Sie erwuchsen aus Momenten, die mich 
freuten, in gewissen Bezügen auch enttäuschten, 
dann begeisterten, beunruhigten und mich auch in das 
Werk Niggs verliebt machten. Manchmal liebe ich ihn, 
und alle Zu- und Einteilungen, alle Werteinschätzungen 
finde ich dann belanglos. 
Eingespannt in unser Jahrhundert, sind wir geprägt 
von festgelegten Punkten und Wegen, die ein rückblik- 
kendes Urteil ermöglichen. Etwas, was sich über Jahr- 
zehnte in reghaften Auseinandersetzungen geklärt hat 
und dann auch als Allgemeingut anerkannt wurde, 
sozusagen zu einem Duden geworden ist, hat nun für 
uns Gültigkeit. Im Werk Ferdinand Niggs ereignet sich 
vieles, was in diesem «Duden des 20. Jahrhunderts» 
Platz einnimmt, aber dennoch bleibt ein Rest, der 
momentan nur schwer Einlass findet. 
Auch kann die Frage gestellt werden, ob es gut war, 
dass sich Ferdinand Nigg nach seinem fünfzigsten 
Lebensjahr fast ausschliesslich der religiösen Thema- 
tik verschrieben hat. Hier sei gleich vermerkt, dass Fer 
dinand Nigg nicht Theologe, sondern eher Mystiker 
und ein einfühlsamer Betrachter, ein Künstler war. Es 
finden sich keine Äusserungen von Ferdinand Nigg, ob 
diese Wandlung eine bewusste Entscheidung war 
oder ob ihn sein Gemüt und sein Rückzug aus der äus- 
seren Aktivität zu dieser Schau gelangen liessen. 
Ferdinand Nigg setzte den künstlerischen Anspruch 
der Thematik entsprechend hoch. Jeder Künstler, der 
sich auf religiöse Themenkreise einlässt, kann entwe- 
der durch hohe Kunst die Integration beider Ansprüche, 
den der Kunst und den des Themas, erreichen, oder 
er bleibt Verlierer. Ein beachtlicher Teil der der religiö- 
sen Kunst verschriebenen Künstler sind «Verlierer». Es 
braucht im 20. Jahrhundert eine besonders starke Ver- 
anlagung, um in diesem Bereich der Kunst nicht nur 
Epigone, sondern vitaler Künstler zu sein, dem auch 
Gratwanderungen zuzumuten sind. Das fromme Wort 
oder das grosse Thema entbindet nicht von der Ver- 
pflichtung zu eigenständiger Kunst, das heisst zu neuer 
Schöpfung im Eigenleben von Form, Farbe und Struk- 
tur. Anderseits kann und will diese Thematik den 
Künstler zu intensiven Schöpfungen in Form und Farbe 
und zu besonderen Visionen verschiedener Gestal- 
*ungsweisen anregen. Der Künstler läuft aber immer 
Gefahr, sich in Mittelmässigkeit und längst bekannte 
3ildfindungen zu flüchten, weil das religiöse Thema 
den kollektiven wie den öffentlichen und zugleich den 
persönlichen Bereich betrifft und er dadurch verschärf- 
ter Kritik und Ablehnung ausgesetzt ist, oder ganz 
ainfach' aus Mangel an eigener Kunstfähigkeit seine 
aigene Schwäche zuzudecken mit dem Mantel des 
Religiösen. 
‚Nas macht ein junger Kunstlehrling, wie ich es damals 
war, wenn er sich verantwortlich fühlt für die Werke 
von zwei Menschen, die im liechtensteinischen Kultur- 
eben von besonderer Bedeutung zu sein scheinen? 
7ast schicksalhaft kündigte sich mir Ferdinand Nigg an, 
ch war sechzehnjährig und in Dingen der Kunst noch 
unkundig. Von meinem Onkel, Pfarrer Anton Frommelt, 
‚wurde ich dazu angehalten, mich am Nachlass Ferdi- 
nand Niggs zu erfreuen und davon zu lernen. Später 
dann kam das Anliegen, das Werk beider Künstler der 
nächsten Generation zu übermitteln. 
Zerdinand Nigg starb 1949, vierundachtzigjährig. Anton 
Frommelt wurde von der Steuer- und Erbkommission 
vierzehn Tage nach dem Tode Ferdinand Niggs in das 
verwaiste Haus gebeten, um den ratlosen Kommis- 
sionsmitgliedern Hilfe zu leisten. Der «Lehrling» durfte 
mitgehen. Für ein ganzes Jahr war der gesamte Nach-
	        

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