VORWORT ZUR AUSSTELLUNG
IN ST. NIKOLAI LEIPZIG
Nichts verbindet Ferdinand Nigg bisher mit Leipzig,
speziell mit der Nikolaikirche. Nichts wissen die Leipzi-
ger, auch die meisten Künstler und Kunstexperten
unter ihnen, bisher von Ferdinand Nigg. Weshalb dann
Nigg in St. Nikolai? Nur um ein Stück Nichts zu füllen?
Die Anfänge gehören ins Reich des Zufalls. Nigg in
dem Teil des deutschen Kulturraums bekannt zu
machen, in dem er einmal gewirkt hat und in dem er
heute so unbekannt ist, war ein Gedanke. Dafür einen
kirchlichen Ausstellungsraum zu finden, war eine
naheliegende Konsequenz. Denn Niggs Schaffen war
in beträchtlichem Masse religiös, und die Kirche war
zur Zeit der ersten Vorbereitungen für diese Ausstel-
lung, das war 1988, offen für Fremdes, nicht misstrau-
‚sch, bürokratisch, vereinnahmend. «Nikolaikirche —
offen für alle» — das war das Stichwort, war das
Programm hier seit einem Jahrzehnt.
Nigg war ein Wegbereiter der Moderne in der Kunst,
auch in der religiösen Kunst. St. Nikolai konnte —- unter
anderen und anderem —- Wegbereiterin eines Neuen
sein.
Gotik und Klassizismus geben sich in St. Nikolai die
Hand. Am Ende des 18. Jahrhunderts war diese Kirche
<unstgeschichtliche Avantgarde, ein Versuch, das Mit-
telalter zu modernisieren. Das ist lange her. Neogotik
und zarter Jugendstil waren die letzten Erneuerungs-
versuche, ehe das Zeitalter der denkmalpflegerischen
Restaurierung anbrach. (Wohl wichtig!} Aber keine
Berührung mit Expressionismus, Kubismus, auch kei-
ne theologische Auseinandersetzung geschah. Moder-
nes Kunstgewerbe: dessen nahm sich das Grassi-
museum In Leipzig an. Die protestantische Kirche als
konservative Kraft — bis zur überraschenden «religiö-
sen Geburtshilfe» des Jahres 1989.
Die Kunst braucht, wenn sie leben will, Wagnis zu
neuen Formen. Christlicher Glaube in unserer Zeit,
wenn er leben will, braucht Wagnis zu neuen Formen.
ıdeen, Begegnungen.
Nichts verbindet Ferdinand Nigg mit Leipzig, speziell
mit der Nikolaikirche — wirklich nichts?
Arndt Haubold
Pfarrer an St. Nikolai
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