Volltext: Ferdinand Nigg (1865-1949)

An zwei Motive möchte ich, weil wir uns in Magdeburg 
Jefinden, doch erinnern, die gewiss von aussen mit- 
angeregt worden sind: an die Klugen und Törichten 
Jungfrauen in Niggs Bilderweit und zugleich an jene 
Jnvergleichlichen des Magdeburger Doms, die Klugen 
Jnd Törichten an der Paradiesespforte. 
Und dann mögen Sie das Stadtemblem des Mädchens 
(Mägdleins) vor dem Tor entschlüsseln, der Burg, der 
Stadt, sei es in einem Aquarell (im Buch zu finden auf 
S. 44) oder in dem hier ebenfalls gezeigten, eindrückli- 
chen Teppichfries (vgl. S. 46) dasselbe Motiv flankiert 
von Hunden, wild die Komposition und expressiv. 
Meine lieben Damen und Herren: 
Eine lebendige, weite, behutsame Vernetzung 
Am Schluss, in seinem Zimmer, das begonnene Bild 
des ungeeignetsten aller Heiligen in unserer Zeit, 
Jnvollendet, eher erst entworfen. Der hat die Sprachen 
der Tiere und Pflanzen aufs Mal verstanden. Mitwelt 
1at er gesagt. 
Nigg habe im Alter, wenn er mit seinem Einkaufsnetz 
Milch und Brot einkaufen ging (so wird in einem Brief 
aus Vaduz berichtet), von der Strasse Würmer und 
Schnecken, die nach einem Regen liegen geblieben 
waren, aufgeklaubt und an den Wegrand verbracht. 
Die kleinen Schritte. 
Da hockt Franziskus und hört den Stimmen der Vögel 
und Fische zu, er hört hin, er hört sie an, er versteht 
deren Sprache. Nicht nur zuhören wie einer Musik, 
mehr oder weniger unverbindlich zusehen wie einem 
Bild, einem Film, nein, der vermochte ihre Sprachen 
geltend werden zu lassen, ihre Räume. Es klingt aus 
den Reihen der Luft- und Wassertiere, der Erd- und 
Lichtgeschöpfe, leise, vielleicht zu leise, oder immer 
vernehmbarer, deutlicher, lauter, verzweifelter: wir 
sind das Volk. Völker von einzelnen Lebewesen mit 
ihren Sprachen und Gesetzmässigkeiten. Und der 
Mann fragt sich, weshalb er Fisch und Vogel jetzt erst 
versteht, weshalb er zuvor taub gewesen war dafür. 
Hatte er es denn vorher nicht vernommen, dieses 
Recht auf Leben? 
Und vor ihm, um ihn beginnt sich der Teppich weiterzu- 
entwerfen (der Entwurf ist immer grösser, heisst es), 
aus vielen kleinen Stichen und Stichelchen, aus unzäh- 
ligen kleinen Wenden, aus vielen kleinen Schritten ... 
Und es mag etwas von den gestickten visionären Räu- 
men hinüberschwingen, und wenn’s nur übertragen 
gilt, das Bild: eine lebendige, weite, behutsame Ver- 
netzung. 
Ich danke Ihnen.
	        

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