Volltext: Ferdinand Nigg (1865-1949)

«Seltsamen Ritt», aufwühlend, ob als Stickerei oder 
Aquarell; Prachtstücke seines frühen expressionisti- 
schen Schaffens, die abstrakten Friese oder der Fries 
im Blau-Rot-Rhythmus «Mensch, Häuser, Hunde», ver- 
mutlich in Magdeburg entstanden, vielleicht erst wäh- 
‚end des Ersten Weltkriegs in Köln; leider gibt es hierzu 
xaum Hinweise, bloss vergleichsmässige Studien. Nur 
wenige Arbeiten sind datiert. 
Genius loci 
Es mag erstaunen, dass es gelungen ist, Niggs Tätig- 
keitsfeld in Magdeburg für das Buch ebenso dicht zu 
dokumentieren wie jenes damals für mich zugäng- 
lichere in Köln. Das konnte nur deshalb geschehen, 
weil Nigg sehr vieles aus der Magdeburger Zeit auf- 
gehoben hatte. Zeichen dafür, wie wichtig er diese 
Zeit erachtete. 
Die Magdeburger Arbeiten lagen lange unkommentiert 
in einer Schublade der Kanonikus Frommelt Stiftung, 
is eines Tages, 1977, Martin Frommelt in meinem 
Haus erschien, einen schweren Stapel wohlgeordneter 
Blätter auf den Tisch legte und sagte: «Schreib etwas 
dazu! Kleine Publikation für die Liechtensteiner Kunst- 
gesellschaft.» Ich hob das erste Deckblatt weg und 
war begeistert, es leuchtete mir eine der zündenden 
Gouachen entgegen. Es folgten die Kleistermalereien, 
die Drucke und diverse konstruktive Arbeiten, einige 
'nitialen. So aufgefordert, ging ich erstmals diesen 
xaum datierten Werken nach und konnte teils im Nach- 
ass, teils intuitiv die Blätter für einen zaghaften Anfang 
situieren und erläutern. Das allerdings war für mich der 
Auftakt zu einer mehrere Jahre dauernden Beschäfti- 
gung mit Niggs Werk. 1983 beschlossen die Stiftun- 
gen, dass es sinnvoll wäre, ein umfassendes Buch zu 
Niggs Werk herauszugeben. So arbeitete ich fast zwei 
Jahre lang an den notwendigen Recherchen und an 
den Vorbereitungen und Texten für das neue Buch, im 
angen Dialog mit Martin Frommelt und den Stiftungen. 
'ch hatte mir vorgenommen, allen Bereichen, die für 
Niggs Wirken wichtig waren, gleiche Bedeutung ZUzU- 
nessen und vermochte vieles zu rekonstruieren, dank 
<leiner Hinweise, die da und dort verstreut im Nachlass 
von Kanonikus Frommelt lagen, Zettelchen, die dieser 
nicht weggeworfen hatte, sondern die als unschein- 
bare, oft enigmatische Wegweiser darauf warteten, 
eingesetzt zu werden. Manches ward möglich, durch 
die, was kunstgewerbliche Publikationen der Jahr 
hundertwende angeht, überaus dicht bestückte Kunst- 
gewerbemuseums-Bibliothek in Zürich, wo die Kunst- 
gewerbezeitschriften jener Zeit und Hinweise auf 
Kunstgewerbeschulen, inklusive der Vereinsnachrich- 
ten des «Deutschen Werkbundes», ausfindig zu ma- 
chen sind. 
Die Stadt Magdeburg allerdings blieb mir Vorstellung, 
da ich mich damals nicht vor Ort begeben hatte. 
Bei unserem ersten Besuch 1988 in Magdeburg (wohin 
wir auf Anregung von Robert Allgäuer im Namen der 
Ferdinand Nigg Stiftung gereist waren, zudem als 
Gäste und in freundlicher Begleitung von Herrn Dom- 
prediger Quast, der sich eine Ferdinand-Nigg-Ausstel- 
lung im Dom sehr wünschte) stellten Martin Frommelt 
und ich erstaunt fest, dass das ehemalige Schul- 
gebäude tatsächlich in seiner damaligen Gestalt fast 
unverändert noch erhalten geblieben war, sogar der 
Name der Strasse war derselbe; das freute uns, nicht 
die schlechtesten Voraussetzungen, den Genius loci 
mit Nigg etwas zu beleben. 
Mit diesen Ausführungen zu Ferdinand Nigg erlaube 
ich mir, den mutigen Initianten zu dieser Ausstellung zu 
gratulieren. 
(Und wenn ich ganz persönlich etwas einfügen darf, 
Nigg hat.mich 1988 zudem erstmals ins Land der Sach- 
sen gelotst, und ich nahm‘s zum Anlass, die Heimat- 
stadt meiner Grosseltern, Dresden, erstmals aufzusu- 
chen. Womit besagt ist, dass ich hiermit ein klein 
wenig, wie am Rande, auch meine Ahnen unbekann- 
terweise grüsse.) 
Wir befinden uns hier in Magdeburg in einem der 
schönsten und bedeutendsten Dome. Ferdinand Nigg 
hat innerhalb der religiösen Kunst erneuernd gewirkt, 
hr die Moderne zugeführt. Sicher hat Nigg gespürt, 
dass er in eine Zeit gelangt war, wo die überlieferten 
Inbilder neu befragt werden würden. Vielleicht wusste 
er, dass sie einzulösen waren, damit sie im alchemisti- 
schen Kessel der Umwandlung ihre Substanzen — wie 
auch immer — neu einzukleiden vermögen. Vielleicht 
war es auch nur sein Schwanengesang. Wir wissen 
wenig. Es gibt keine Kommentare. Zu den Werken hat 
Nigg geschwiegen.
	        

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