Im Alter verdunkelten ihn Angst und Schreckensvisio-
nen, denen der Boden entzogen war und die ihm in
der Einsamkeit um so mehr wie Wahnvorstellungen
anhingen.
Man erfuhr ihn als Sonderling. Sein Schaffen ist für
Ferdinand Nigg dennoch bis zum Schluss das geblie-
ben, was es immer war, der Spiegel seiner reflexiven,
meditativen Spiritualität.
Die beiden Lebenshälften aus meinem Blickwinkel
In Niggs Werk der ersten Lebenshälfte, Magdeburg
wie Köln, spiegelt sich jenes grundsätzliche bildneri-
sche Denken, das ich viel später an Schulen für Gestal-
tung, Kunst- und Kunstgewerbeschulen in der Schweiz
oder in den USA beobachten konnte. Diese bildneri-
sche Welt setzte, als das nationalsozialistische Regime
die künstlerische, geistige Entwicklung der Moderne in
Deutschland unterbunden hatte, ins Exil über, pflanzte
sich dort fort, auch was die gestalterische Grundschu-
lung betraf. Meine künstlerische Ausbildung, wie die
vieler Kollegen und Kolleginnen, stand auf diesen
Grundfesten.
nn Ferdinand Niggs Werk der zweiten Lebenshälfte
begegnete ich der unmittelbaren Darstellung biblischer
Inhalte erst mit einiger, um nicht zu sagen evangeli-
scher, Scheu. Doch Niggs spezielle Weise im Umgang
mit der elementaren Mystik seines Formenkanons, als
begleitende Essenz des Figuralen, begann mich bald
zu faszinieren. Dass Nigg sich als ein Visionär der tradi-
tionellen Bildinhalte erweist, wurde mir rasch deutlich.
Diese Archetypen und durchdrungenen Überlieferun-
gen könnten einem Traum entsteigen, gebannt von
Formen, die kompositionell zwischen Zeichen und ihrer
Auflösung in der Ambivalenz mehrfacher Symbolik zu
'esen sind.
Erstaunlich, erschreckend fast, ist die Beharrlichkeit
und die Kontinuität, mit der Nigg ein Motiv über Jahre
weiterentwickelte, verwandelte und in neuem bildneri-
schem Sprachduktus wiedererstehen liess. Darin war
er ein Meister. Nigg hat gewiss Zeit weniger chrono-
logisch als aus lauter Gleichzeitigkeiten bestehend
erlebt.
Immer ist es die «Seelenlandschaft», die aufblinkt, in
den frühen Bildern, in jenen der Magdeburger Zeit, im
Die blaue Blume, Aquarell und Bleistift, Köln. Ausstellung Magdeburg Nr. 60