Volltext: Ferdinand Nigg (1865-1949)

Reiter, Kubisten und Konstruktivisten, Dadaisten und 
Surrealisten. Und wiederum waren darunter Maler und 
Malerinnen, die übers Bauhaus dem Drang nachga: 
ben, zumindest für eine Zeit, den Versuch zu wagen, 
das L’art pour l’art zu überwinden. Auch dieser Ver- 
such fand, wie gesagt, in politischen Umwälzungen 
Jınd in einem Krieg ein jähes Ende. 
Kurz nachdem Nigg mit 64 Jahren Köln verlassen hatte, 
wurde das Bauhaus von Dessau nach Berlin verlagert 
und bald ganz aufgelöst. Paul Klee unterrichtete in 
jenem Jahr noch an der Düsseldorfer Akademie, er 
wurde 1933 mit dem Verweis, dass seine Kunst zu 
wenig bodenständig sei, wie viele andere Berufskolle- 
gen, entlassen, unter Berufsverbot gestellt. Verfemt. 
Es ist nicht so sehr, dass sich der Volksgeschmack 
geändert hätte, als vielmehr der Sinn für geistige Plu- 
-alität. Für Klee, Dix, Kirchner, Barlach und für viele 
andere galt das Urteil: entartet. Die innere Verwandt- 
schaft, die zwischen Niggs zeichnerischem Schaffen 
der zwanziger und dreissiger Jahre und der Kunst Bar 
lachs besteht, möchte ich hier nur am Rand erwähnen, 
sie ist offensichtlich. Die Ausstellungsbesucher mögen 
diesen Bezugspunkt im Magdeburger Dom vor Ernst 
Barlachs Gefallenen-Denkmal aus dem Jahre 1929 für 
sich selber erwägen. 
Es wäre eine Illusion zu glauben, dass ein übler Zeit- 
geist, der als Kollektiv-Phänomen Massen erfasste, an 
den Grenzen haltgemacht hätte. Zur Zeit des National- 
sozialismus hatten die angrenzenden und die neutralen 
' änder ein Janusgesicht. Liechtenstein ist davon nicht 
ausgeschlossen. Der Geist lässt sich, wo er will, konta- 
minieren. So war es denn nicht nur eine heile Welt, in 
die Nigg zurückgekehrt ist. 
Rückkehr nach Liechtenstein 
Nigg mass die politischen wie menschlichen Verän- 
derungen, schon in den späten zwanziger und begin- 
1enden dreissiger Jahren, in Deutschland zunehmend 
deutlich, deutlicher vielleicht als andere, durch seine 
politisch unabhängige Stellung, und durch seine Sen- 
sibilität. Er las die düsteren Vorzeichen ohne jegliche 
nationale Verblendung. Diese seine Haltung wurde uns 
von noch lebenden Schülerinnen und durch deren 
schriftliche Berichte und Briefe bestätigt. Und mit die- 
sem inneren, klaren und entschiedenen Blick, eher 
intuitiv als wissend, hat er das Land, in dem er seit 
1896 gewirkt hatte, nach fünfunddreissig erfüllten 
Berufsjahren für immer verlassen. 
Nigg kehrte nach Liechtenstein zurück, an den Ort sei- 
ner Kindheit, Vaduz. Die Semesterferien hatte er dort 
oft verbracht. Er verkaufte das Elternhaus und liess 
sich dafür nach eigenen Entwürfen ein neues Haus 
bauen, eins der modernsten für damals in Liechten- 
stein. Jetzt widmete er sich fortan, so abgeschieden 
wie zurückgezogen, nur noch seinem persönlichen 
Schaffen, bescheiden wie er war, ohne viel Aufsehen 
zu erregen. Nigg starb mit 84 Jahren in Vaduz. 
Das Spätwerk 
Im Alter muss Ferdinand Nigg beseelt gewesen sein 
vom Geist des Franz von Assisi, Motiv seines letzten, 
schier schon wieder wie an irgendeinem Anfang einfäl- 
tigen und unbeendeten Bildteppichs und des Entwurfs 
dazu. Dessen inhaltliche Dringlichkeit hat Nigg für 
unsere Zeit aufgehoben. 
Er lebte seiner Kunst. Ein Wirkungsfeld nach aussen 
war ihm in Liechtenstein nicht gegeben. Sein Spät- 
werk ist eindrücklich, «Die Gleichnisse» beispiels: 
weise, Blätter, die hier an der Ausstellung in Magde- 
burg wie in Leipzig zu sehen sind, oder helle, grossfor- 
matige Teppiche von starker Raumabstraktion. Doch 
weder sein intensives Schaffen, noch seine künstleri- 
schen Ideale vermochten die düstere grausame Tat- 
sächlichkeit zu verdrängen, mit der sich Deutschland 
selbst zerstörte. 
Und wenn Nigg noch Ideale in die Welt projiziert 
gehabt hätte, wären diese jetzt zerbrochen: die Städte, 
'n denen Nigg gelebt hatte, München, Berlin, Magde- 
aurg, Köln; die Schüler, die er in Not wusste, die Schü- 
erinnen, die Kollegschaft, darunter solche jüdischer 
Abstammung. Nigg versuchte zu helfen, nach Auswe- 
Jen zu suchen. Wege gab es für seine Freunde längst 
xeine mehr. In Frage kamen noch die Schweiz und 
Jbersee. Bald trafen auch keine Briefe mehr ein. Es 
veinigte ihn das Wissen um die Zerstörung der Kunst- 
und der Kulturschätze, mit denen er sich als stark vi- 
suell empfindender Mensch verbunden gefühlt hatte. 
Deutschland war ihm zum Unort gediehen.
	        

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