seiner Überwindung geliefert: die flächige rhythmi-
sche Komposition und die freie, reine Farbgebung. Zu-
dem erfuhr er in der Praxis die fünktionellen, ma-
terialeigenen Gesetzmässigkeiten und verstand diese
als Bildelemente aufs lebendigste in die Komposition
zu übertragen. Den Akademismus hatte er längst ver-
gessen. Alles drängte in Niggs Schaffen in die neue
Formauffassung: Graphik, Textil und Malerei.
Soviel zum Vorspiel.
Mut zur Abstraktion
Ferdinand Niggs Magdeburger Zeit 1903-1912
Berufskollegen wurden schon in Berlin auf Ferdinand
Nigg, Maler, wie er sich nannte, aufmerksam. Eine
ebendige Zusammenarbeit hob an. Durch seinen
Freundeskreis wurde Nigg durchaus angeregt, seinen
eingeschlagenen Weg auszubauen, weiterzuführen.
Zu Niggs Freunden zählten Peter Jessen, Direktor der
<öniglichen Bibliothek des Kunstgewerbemuseums zu
Berlin, Hermann Muthesius, von dem hier schon kurz
die Rede war, Vorprogrammierer des 1907 in München
gegründeten «Deutschen Werkbundes», oder Peter
Behrens und andere Gestalter, Architekten, nahe
Freunde waren Rudolf Rütschi und Max Buchholz.
Die Nigg-Monographie, erschienen 1985, kann, was
die Magdeburger Zeit betrifft, sich als Fundgrube er-
weisen. Ich freue mich, als eine der Autoren, sehr,
dass die Begegnung mit Niggs Werk, heute, hier in
Magdeburg und Leipzig, möglich geworden ist.
Gerade Kunstschaffende, die in Kontakt mit Kunstge-
werblichem gekommen waren, Ornamentik, Buchge-
staltung oder Textilem, getrauten sich versuchsweise
in ihren freien Arbeiten in dieses noch unbestellte Land
der abstrakten Möglichkeiten und autonomen Bildmit-
tel vor, oft nur um Materialwirkungen abzuschätzen.
Sie eroberten sich damit Neuland, noch bevor es die-
ses offiziell gab. Augusto Giacometti (damals bei Gras-
set in Paris) ist für die Schweiz zu nennen, oder eben
Ferdinand Nigg mit seinen Arbeiten aus der Magdebur-
ger Werkperiode ab 1903, Blättern, die Sie hier in der
Stadt seines Wirkens, in schönstem Rahmen, ausge-
stellt sehen. Die Kleisterdrucke, die Kleistermalereien,
die Gouachen — nicht weniger wichtig die frühe kon-
struktivistische Ornamentik — und die freien farbigen
Zeichnungen zum Kubus; Variationen, architektonische
Abstraktionen, die zweckungebunden, jedoch aus
zuvor angewandten Impulsen entstehen konnten und
erste, vehemente Manifestationen des «Malers» sind.
=xpression und Konstruktivität zu beiden Teilen, ein
Verhältnis, das getrennt und in gegenseitiger Durch-
dringung, während aller Schaffensphasen, in Ferdi-
nand Niggs Früh- wie auch Spätwerk, in Bildern wie in
Bildteppichen zu beobachten ist.
Es gibt andere Künstler und Künstlerinnen, die gleich
im anbrechenden Jahrhundert experimentierend mit
bildnerischen Mitteln ins Abstrakte vorstiessen, ohne
dass die Kunstgeschichte diese vereinzelten Vorstösse
dokumentiert oder registriert hätte. Und so bleibt der
allbekannte Auftakt zur Abstraktion an Kandinskys
Zenius geheftet. Mit einigem Recht natürlich, denn auf
Kandinskys Schritt zur Abstraktion, 1910 (angespornt,
wie es heisst, durch Volkskunst und Textiles), folgte ein
’eiches abstraktes, grossartiges Werk, das an Eindeu-
tigkeit nichts zu wünschen übrig liess, und wozu der
<ünstler sich — wie andere später auch — analytisch
geäussert hat, das abstrakte Vokabular als Vokabular
eines Geistigen in die Kunst überführend.
Vielleicht lässt sich von daher die Tatsache verstehen
ınd integrieren, dass vom Zeitpunkt des Ersten Welt-
<riegs an Nigg sein persönliches Schaffen als Künstler
abgegrenzt hat, auf Kunstgewerbeausstellungen nicht
mehr vertreten war. An die Öffentlichkeit sandte er
fortan nur Arbeiten seiner Schülerinnen und Schüler.
\igg wirkte an der Magdeburger Kunstgewerbe- und
dandwerkerschule von 1903 bis 1912. Die uns erhalte-
nen Blätter gehören zu den eigentlichen Vorstössen
ainer damaligen Avantgarde, so bescheiden sie Nigg
auch hinter seiner Schule versteckt haben mochte.
Nigg nannte sich weiterhin Maler, und wir dürfen ihm
die frühen Blätter als Maler glauben. Eine neue Expres-
sivität hatte ihn ergriffen und meldete sich schon in den
}rühen Kleisterdrucken. Kommentare zu den «Farbigen
Papieren» finden sich in Briefen von Peter Jessen an
Ferdinand Nigg in Magdeburg. Peter Jessen war ein
hellsichtiger Mann, er hat sich für die Kunstgewerbe-
museumsbibliothek, als Beispiele der neuen kunstge-
werblichen Bewegung, Sammlungsmappen angelegt.
In einem Brief von 1907 steht zu lesen: «Verehrter Herr
Nigg, irre ich mich? oder hatten Sie aus Ihrer Klasse