Volltext: Ferdinand Nigg (1865-1949)

seiner Überwindung geliefert: die flächige rhythmi- 
sche Komposition und die freie, reine Farbgebung. Zu- 
dem erfuhr er in der Praxis die fünktionellen, ma- 
terialeigenen Gesetzmässigkeiten und verstand diese 
als Bildelemente aufs lebendigste in die Komposition 
zu übertragen. Den Akademismus hatte er längst ver- 
gessen. Alles drängte in Niggs Schaffen in die neue 
Formauffassung: Graphik, Textil und Malerei. 
Soviel zum Vorspiel. 
Mut zur Abstraktion 
Ferdinand Niggs Magdeburger Zeit 1903-1912 
Berufskollegen wurden schon in Berlin auf Ferdinand 
Nigg, Maler, wie er sich nannte, aufmerksam. Eine 
ebendige Zusammenarbeit hob an. Durch seinen 
Freundeskreis wurde Nigg durchaus angeregt, seinen 
eingeschlagenen Weg auszubauen, weiterzuführen. 
Zu Niggs Freunden zählten Peter Jessen, Direktor der 
<öniglichen Bibliothek des Kunstgewerbemuseums zu 
Berlin, Hermann Muthesius, von dem hier schon kurz 
die Rede war, Vorprogrammierer des 1907 in München 
gegründeten «Deutschen Werkbundes», oder Peter 
Behrens und andere Gestalter, Architekten, nahe 
Freunde waren Rudolf Rütschi und Max Buchholz. 
Die Nigg-Monographie, erschienen 1985, kann, was 
die Magdeburger Zeit betrifft, sich als Fundgrube er- 
weisen. Ich freue mich, als eine der Autoren, sehr, 
dass die Begegnung mit Niggs Werk, heute, hier in 
Magdeburg und Leipzig, möglich geworden ist. 
Gerade Kunstschaffende, die in Kontakt mit Kunstge- 
werblichem gekommen waren, Ornamentik, Buchge- 
staltung oder Textilem, getrauten sich versuchsweise 
in ihren freien Arbeiten in dieses noch unbestellte Land 
der abstrakten Möglichkeiten und autonomen Bildmit- 
tel vor, oft nur um Materialwirkungen abzuschätzen. 
Sie eroberten sich damit Neuland, noch bevor es die- 
ses offiziell gab. Augusto Giacometti (damals bei Gras- 
set in Paris) ist für die Schweiz zu nennen, oder eben 
Ferdinand Nigg mit seinen Arbeiten aus der Magdebur- 
ger Werkperiode ab 1903, Blättern, die Sie hier in der 
Stadt seines Wirkens, in schönstem Rahmen, ausge- 
stellt sehen. Die Kleisterdrucke, die Kleistermalereien, 
die Gouachen — nicht weniger wichtig die frühe kon- 
struktivistische Ornamentik — und die freien farbigen 
Zeichnungen zum Kubus; Variationen, architektonische 
Abstraktionen, die zweckungebunden, jedoch aus 
zuvor angewandten Impulsen entstehen konnten und 
erste, vehemente Manifestationen des «Malers» sind. 
=xpression und Konstruktivität zu beiden Teilen, ein 
Verhältnis, das getrennt und in gegenseitiger Durch- 
dringung, während aller Schaffensphasen, in Ferdi- 
nand Niggs Früh- wie auch Spätwerk, in Bildern wie in 
Bildteppichen zu beobachten ist. 
Es gibt andere Künstler und Künstlerinnen, die gleich 
im anbrechenden Jahrhundert experimentierend mit 
bildnerischen Mitteln ins Abstrakte vorstiessen, ohne 
dass die Kunstgeschichte diese vereinzelten Vorstösse 
dokumentiert oder registriert hätte. Und so bleibt der 
allbekannte Auftakt zur Abstraktion an Kandinskys 
Zenius geheftet. Mit einigem Recht natürlich, denn auf 
Kandinskys Schritt zur Abstraktion, 1910 (angespornt, 
wie es heisst, durch Volkskunst und Textiles), folgte ein 
’eiches abstraktes, grossartiges Werk, das an Eindeu- 
tigkeit nichts zu wünschen übrig liess, und wozu der 
<ünstler sich — wie andere später auch — analytisch 
geäussert hat, das abstrakte Vokabular als Vokabular 
eines Geistigen in die Kunst überführend. 
Vielleicht lässt sich von daher die Tatsache verstehen 
ınd integrieren, dass vom Zeitpunkt des Ersten Welt- 
<riegs an Nigg sein persönliches Schaffen als Künstler 
abgegrenzt hat, auf Kunstgewerbeausstellungen nicht 
mehr vertreten war. An die Öffentlichkeit sandte er 
fortan nur Arbeiten seiner Schülerinnen und Schüler. 
\igg wirkte an der Magdeburger Kunstgewerbe- und 
dandwerkerschule von 1903 bis 1912. Die uns erhalte- 
nen Blätter gehören zu den eigentlichen Vorstössen 
ainer damaligen Avantgarde, so bescheiden sie Nigg 
auch hinter seiner Schule versteckt haben mochte. 
Nigg nannte sich weiterhin Maler, und wir dürfen ihm 
die frühen Blätter als Maler glauben. Eine neue Expres- 
sivität hatte ihn ergriffen und meldete sich schon in den 
}rühen Kleisterdrucken. Kommentare zu den «Farbigen 
Papieren» finden sich in Briefen von Peter Jessen an 
Ferdinand Nigg in Magdeburg. Peter Jessen war ein 
hellsichtiger Mann, er hat sich für die Kunstgewerbe- 
museumsbibliothek, als Beispiele der neuen kunstge- 
werblichen Bewegung, Sammlungsmappen angelegt. 
In einem Brief von 1907 steht zu lesen: «Verehrter Herr 
Nigg, irre ich mich? oder hatten Sie aus Ihrer Klasse
	        

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