FERDINAND NIGG. WER WAR DAS?
von Evi Kliemand
Der Europäer
Ferdinand Nigg verkörpert für Liechtenstein Kunstge-
schichte im Aufbruch zur Moderne. Ferdinand Nigg,
geboren 1865 in Vaduz und gestorben 1949 daselbst.
Kunstgeschichte in einer Person, für ein Land, das zu
Niggs Zeiten bis satt an seine Grenzen wortwörtlich
auf dem Land zu suchen war. Gehörte Ferdinand Nigg
überhaupt zu Liechtenstein?
Dort geboren und aufgewachsen, und dann, vierzig
Jahre des Tätigseins im Ausland; mit Eintritt des Ruhe-
stands, 1931, kehrte der Künstler nach Liechtenstein
zurück und lebte da bis zu seinem Tod.
Es wäre übertrieben zu sagen, Liechtenstein hätte ihn
zu Lebzeiten schon wahrgenommen. Gewiss, einzelne
Menschen gab es immer, die ihm Freundschaft boten.
Vermutlich verstand sich Ferdinand Nigg als eine Art
Europäer. Auch zu Deutschland gehörte er nie ganz,
obzwar Deutschland seine berufliche Wirkungsstätte
war. Da, wo er sich betätigte, schuf er sich seinen Ort.
So war es denn sein Wirken, das ihm jeweils Heimat
wurde, und weniger ein Staat.
Kaum verwunderlich, dass zu Ferdinand Niggs Freun-
den Globetrotter und Weltenbürger wie der Kultur-
historiker Max von Boehn oder der Architekt Hermann
Muthesius zählten, obwohl letzterer gerade auf dem
Feld des Kunstgewerbes in Deutschland die Neue
Bewegung initiierend unterstützte, angeregt durch
England oder auch durch Gottfried Sempers Schriften.
Die Neue Bewegung
Zur Zeit der Jahrhundertwende war's bereits eine
Gepflogenheit, das Wort «Deutsch» vor allerhand zu
setzen, was mit Nationalem, objektiv gesehen, gar
nicht sehr viel zu tun hatte, so vor die neuen Bewegun-
gen innerhalb von Kunst und Kunstgewerbe. Heraus-
geber von periodischen Heften, Fachzeitschriften,
setzten sich für eine Neue Bewegung des Kunstge-
werbes in Deutschland ein, darunter die «Deutsche
Kunst und Dekoration», bald der «Deutsche Werk-
bund» und die «Deutschen Werkstätten». Diese Beto-
nung im damaligen Kunstgewerbe, national wie sie an-
mutet, überdeckt eher das, was geschehen ist, worum
es künstlerisch ging: nämlich um die Vorstösse schöpfe-
rischer, meist einzelner Kräfte hin zu einem neuen
bildnerischen Vokabular, ein sich Vortasten in zweck:
bedingte wie zweckfreie geistige Ausdrucksmittel.
Wahrscheinlich ist in einem Umbruch, einem Um
schwung, einer gesellschaftlichen Neuorganisation,
wie es die Jahrhundertwende für Kunst und Kunstge-
werbe und Gesellschaft darstellte, die nationale Über-
betonung nicht nur kennzeichnend für Stolz und für
einen immensen Glauben an allgemeinen Fortschritt,
sondern auch für den damit zu beschwichtigenden
Schatten einer alle grundlegenden Erneuerungen be-
gleitenden Verunsicherung.
Jedenfalls rang am Anfang zum 20. Jahrhundert Wi-
dersprüchlichstes wie Aufbruch und Abgrenzung nach
seinem Ausdruck.
Meist liessen die freien, zweckungebundenen Künste
lang im voraus durch ihre Zeichen merken, dass Um-
wandlung bevorstand.
Umwälzungen in politischer, wirtschaftlicher, sozialer
Sicht riefen nach neuen Wegen in Kunst und Kunst-
gewerbe. Handwerk und Industrialisierung wurden zu
Niggs Zeiten Antipoden, Gegenspieler. Obwohl sie sich
formal ähnliche Aufgaben stellten: das Kunsthandwerk
setzte auf Materialgemässheit, und die Mechanisie-
rung stiess in ihrer Produktionswirtschaft auf funktio-
nelle Formen. Die Norm wurde geboren.
Die Wiege der kunstgewerblichen Reform war im
Ansatz kontrovers, eine kompromisslose bildnerische
Antwort darauf hatte nur die freie Kunst selber zu