Paul Gaugu1n (1848-1903)
Noa Noa, 1893/94
Holzschnitt
35,5 X 20,5 cm
38,8 X 23,6 cm
Bez. im Druck o. M.: PGO, darüber NOANOA
Guerin 17; Mongan/Kornfeld/Harold 13/111/D
LSK 78.09
Als Paul Gauguin im Herbst 1893 von seinem ersten Aufenthalt
uf Tahiti, zu dem er 1891 mit 43 Jahren aufgebrochen war, nach
>aris zurückkehrt, bringt er zahlreiche Werke mit. Die Ausstel-
ung, in der er sie dem Pariser Publikum vorstellt, wird ein Miss-
2rfolg. Zum besseren Verständnis seines in der Südsee entstan-
jenen bildnerischen Werkes soll eine Publikation beitragen, die
Gauguin mit Hilfe des Kritikers Charles Morice vorbereitet. Als
Titel der Aufzeichnungen über sein Leben mit den Maori und
ieren Mythen wählt er Noa Noa — was in der Sprache der Ein-
zeborenen «wohlriechend» bedeutet.' Gauguin plant eine Lu-
xusausgabe in der Auflage von rund 30 Exemplaren mit je zehn
Originalholzschnitten.? An diesen — zu ihnen gehört auch das
3latt Noa Noa — beginnt er im Herbst 1893 in Paris zu arbeiten.
m Mai 1894 berichtet er Morice: «Je viens de terminer mon tra-
‚ail (gravure) sur Noa Noa; je crois que cela contribuera beau-
zoup au succ&s du livre. Il faut donc que le livre soit fait et au
plus töt.»* Die Holzschnitte zeigt Gauguin erstmals im Herbst in
seinem Pariser Atelier. Das Buch erscheint erst 1901 — ohne die
Holzschnitte.*‘ Gauguin, der 1895 zum zweiten Mal nach Tahiti
reist und nicht mehr nach Frankreich zurückkehren wird, hat
vermutlich nie ein Exemplar dieser Ausgabe gesehen.
Das vorliegende Blatt ist eines der rund 30 Exemplare, die Louis
Roy in Gauguins Auftrag 1894 druckt.” Wie bei den meisten an-
deren der zehn Holzschnitte lässt sich der Künstler bei der Wahl
des Motivs von einem seiner aus Tahiti mitgebrachten Gemälde
inspirieren: Noa Noa basiert auf dem Werk / Raro Te Oviri
“Unter dem Tintenfischbaum) von 1892. Das Bild kann aber
nicht als eine auf die Dimension des Buches reduzierte Kopie
oder als Illustration des Textes gesehen werden, obwohl es sich
auf eine Textstelle zu beziehen scheint, die einen Zusammen-
1ang zwischen Titel, Darstellung und Erlebtem schafft: «An ver-
schiedenen Stellen hockten [...] Frauen im Wasser [...]. Wieder
hergerichtet, machten sie sich mit erhobener Brust [...] und mit
der Geschmeidigkeit und Anmut eines jungen, gesunden Tieres,
erneut auf nach Papeete, rings um sich dieses Gemisch aus
animalischen Gerüchen und Düften von Sandel und Gardenie
verströmend — Teine merahi Noa Noa (jetzt sehr wohlriechend)
‚sagten sie.»°
Die stilisierende, flächenbetonte Komposition des Blattes teilt
die Darstellung in eine dunkle und eine helle Sphäre, die — im
Unterschied zum Gemälde — vom stark vereinfachten Baum ver-
einigt werden. In eine riesige Blume verwandelt, scheint er den
Wohlgeruch zu symbolisieren, der für Gauguin das Leben unter
den Eingeborenen ausdrückt. In die dekorativ-florale Form, in
die er zwei Menschen und (mit seinem Monogramm) auch sich
selbst einbindet, kommt die Vorstellung zum Tragen, dass
Mensch, Pflanze und Tier als Teil eines grösseren Daseinszu-
sammenhangs, der Natur, zu sehen sind.
Vor dem Hintergrund seiner Suche nach elementarer Formaus-
sage zeichnet sich Gauguins Arbeitsmethode durch eine mit
grosser Könnerschaft erarbeitete «Derbheit» aus. Dieser Primi-
tivismus-zeugt von intensiver Auseinandersetzung mit vorper-
spektivischer europäischer Malerei, dem japanischen Holz-
schnitt, aber auch mit Elementen tahitianischer, ägyptischer
oder javanischer Kunst. Er findet seine Entsprechung in den
gewählten Farben: Beherrscht von Schwarz erscheinen gebro-
chene Rottöne bis-Orange und Gelb. Die Landschaft erscheint
wie aus einem schützenden Schatten aufgetaucht. In der sanften
Dunkelheit kommen die Spannung zwischen der friedlichen,
melancholischen Existenz der Menschen und der beunruhigen-
den Wirklichkeit ihrer animistischen Religion, das Gesehene
und unbewusst Wahrgenommene gleichermassen zum Aus-
druck. M.S.
Gauguin, Paul: Noa Noa. Nach dem Urmanuskript von 1893. München/Zürich. 1992
Vgl. Paul Gauguin — Catalogue raisonne of his Print. Manuscripts written by
Elizabeth Mongan, Eberhard W. Kornfeld, Harold Joachim. Bern, 1988, S. 47
Ebd.
Die Ausgabe erscheint in den Editions Plume in Paris mit Texten von Gauguin und
Charles Morice, die beide auch als Autoren aufgeführt werden.
Wie Anm. 2, S. 49 u. 52.
Wie Anm. 1, 5. 9.