Volltext: Bestandeskatalog

Zur Graphik im 20. Jahrhundert 
Erika Billeter 
Am Beginn der Geschichte der modernen Graphik steht 
zn Mann, der von diesem Medium fasziniert war und 
dem es vielleicht zu verdanken ist, dass Künstler ihre 
graphische Produktion eigenständig neben ihrem maleri- 
schen oder bildhauerischen Werk entwickelten: Ambroise 
Vollard, Verleger und Kunsthändler, passionierter Freund 
der jungen Malergeneration um die Jahrhundertwende. 
Ein Plakat war es, das den jungen Jurastudenten, der 
1890 aus La Reunion nach Paris gekommen war, so sehr 
in Bann zog, dass er beschloss, sich der Kunst und insbe- 
sondere der Graphik zu widmen: La Goulue von Tou- 
‘'ouse-Lautrec. Bereits 1896 hatte Vollard eine eigene Ga- 
‘erie, in der die Künstler ein- und ausgingen. Durch 
Pierre Bonnard ist uns sein Porträt überliefert. Durch 
Maurice Denis kennen wir seine Galerieräume, denn die 
Maler, die auf Denis’ Hommage ä Cezanne versammelt 
sind, hatten Vollards Galerie zum Treffpunkt gewählt. 
Apollinaire setzte in den Flaneurs des deux rives dem ge- 
2ialen Freund der Künste ein ewiges Denkmal. Vollards 
Erfolg gründete in seinem persönlichen Kontakt zu den 
Künstlern, an die er glaubte und für die er sich einsetzte, 
als sie noch nicht in der Kunstwelt gefeiert wurden. Er 
war der erste Verleger, der Maler anregte, sich mit der 
Druckgraphik als eigenständigem Ausdruck ihrer künst- 
lerischen Arbeit zu beschäftigen und sich für Buchillu- 
strationen zu interessieren. Er wollte den «peintre-gra- 
veur» wieder auferstehen lassen. Sein erster Auftrag für 
ein Portfolio erging an Pierre Bonnard. Quelques aspects 
de la vie de Paris, die 1895 erschienen, leiteten die Ära 
der langen Reihe künstlerischer Druckgraphik ein, die 
Vollard in Auftrag gab und an der die bedeutendsten 
Künstler der Moderne teilnahmen. Die zwölf Lithogra- 
ohien von Bonnard repräsentierten bereits, was Vollard 
vorgeschwebt hatte. Bonnard hatte die Technik des Ma- 
lens auf die Lithographie übertragen und ein in sich auto- 
nomes Kunstwerk geschaffen. Zügig ging Vollard nun 
sein Vorhaben an. 1896 bereits wurde die erste Edition 
der Albums des peintres graveurs in einer Auflage von 
100 Exemplaren und mit 22 Drucken herausgegeben. 
Pierre Bonnard, Edvard Munch, Odilon Redon, Felix 
Vallotton und Edouard Vuillard befanden sich unter den 
Künstlern. An der zweiten Edition nahmen unter anderen 
Paul Cezanne und Henri de Toulouse-Lautrec teil. Holz- 
schnitte, Radierungen und ganz besonders die Lithogra- 
hie hoben die Druckgraphik auf ein künstlerisches 
Niveau, das sie zu einem wichtigen Bestandteil innerhalb 
sines künstlerischen Werkes machte. Paysages et In- 
‘erieurs von Vuillard folgte als Portfolio Bonnards Quel- 
ques aspects de la vie de Paris. Eine der grossen Unter- 
ıaehmungen wurde Guerre et Miserere von Georges 
Rouault. 1916 begann Rouault mit der Arbeit an dieser 
Folge; 1929 hatte er zwei Portfolios mit jeweils 50 
Drucken vollendet. Die Herausgabe hat Vollard nicht 
nehr erlebt. 
Mit Vollard begann auch eine neue Ära des «Maler- 
Buches». Das von Künstlerhand illustrierte Buch, das 
«Jlivre d’art», wurde zum neuen Betätigungsfeld der 
Maler. 1898 leitet Bonnard mit Verlains Parallelement 
diese intime Form der Druckgraphik ein. Bonnard, Marc 
Chagall, Pablo Picasso, Maurice Denis, Redon, Rouault 
zehören zu den zahlreichen Künstlern, welche die 
Buchillustration neben der Malerei mit Bravour pflegten. 
Schliesslich trat ein neuer Kunsthändler und Verleger auf 
jen Plan, der dem illustrierten Buch seine ganze Auf- 
nerksamkeit schenkte: Daniel-Henry Kahnweiler, der 
seit 1909 illustrierte Bücher herausgab, die von bis dahin 
ınpublizierten Autoren stammten und von Künstlern il- 
lustriert wurden. Dazu zählten unter anderen Apollinaire, 
Max Jacob, Andre Breton, Antonin Artaud, Gertrude 
Stein und Tristan Zara. Andre Derain, Pablo Picasso,
	        

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