Volltext: Bestandeskatalog

Joseph Beuys (1921-1986) 
Tote Hirsche, 1982, aus der Folge Zirkulationszeit, nach einem Entwurf von 1948 
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Radierung 
14,3 X 57,5 cm 
70 X 63 cm 
Bez. u. 1: I/XXV Joseph Beuys 
Schellmann 418 
LSK 81.12 
Tiere spielen im Werk von Joseph Beuys eine zentrale Rolle. 
Das Tier galt ihm als «geheimnisvoller Träger des energetischen 
Prozesses».! Gerade in seinen Aktionen kam diese Funktion, die 
ar dem Tier zuschrieb, besonders zum Tragen. Das Tier steht für 
die Natur, für das Ursprüngliche, für das von Zivilisation und 
Technik Unberührte,? als «Vertreter der Elemente Erde, Wasser, 
Luft, als Gesandte von Landschaften und Erdteilen».* Beuys hat 
sich schon früh für Naturwissenschaften, Zoologie und Botanik 
nteressiert.‘ Eine glückliche Fügung brachte ihn als Lernenden 
zu Matare, der für seine stilisierte, archaische Tierplastik be- 
Kannt ist. Das Frühwerk von Beuys weist in grosser Zahl Tier- 
notive auf, die für ihn von mythischer Bedeutung sind: «Alle 
liese botanischen Analysen und anatomischen Tierstudien kom- 
men durchaus von verschiedenen Seiten, wobei auch eine per- 
sönliche Vorstellung von Mythologie mit hineinspielt.»° 
Die vorliegende Radierung entstand nach einer Zeichnung von 
‚948. Mit wenigen Umrisslinien skizziert, liegen zwei tote Hir- 
sche hintereinander. Im Weiss der Fläche heben sie sich in zar- 
ten Linien ab, fragil und einsam. Beuys hat nicht einfach Tiere 
aller Art als Träger seiner geistigen Vorstellungen genommen. 
Er wählte sie bewusst nach den mythologischen Gehalten, die 
sie transponieren können, aus. Hase, Hirsch und Elch gehören 
neben der Biene zu den am häufigsten dargestellten Tiermoti- 
‚en. Diese Auswahl hängt mit der Biographie des Künstlers eng 
zusammen. Er war fasziniert vom «nomadischen Element» 
dieser Tiere.® Der Norden hatte für ihn transzendentale Bedeu- 
ung.’ Es liegt auf der Hand, dass Hirsche und Elche diesen 
Themenkreis authentisch darzustellen vermochten: «Seit meiner 
Kindheit sind Naturbilder für mich ganz einfach mit dem Noma- 
dischen zu charakterisieren und alles, was sich da unterbringen 
‚ässt, wie Dschingis Khan, Hirtenvorstellungen, Tierbilder usw. 
rägt diese Züge.»* Der Hirsch hat in dieser mythischen Welt 
seine ganz besondere Funktion. Er ist christliches Motiv, er 
erscheint Eustachius mit dem Gekreuzigten im Geweih. Beuys 
waren diese Symbolgehalte selbstverständlich bewusst. Der tote 
Hirsch, das tot daliegende Tier ganz allgemein, nahm in seiner 
Vorstellung Modellcharakter für das Missverstehen um Christus 
and seinen Opfertod an.° Das vorliegende Blatt, das den Titel 
Tote Hirsche trägt, steht also in seiner einfachen, aber suggesti- 
ven Ausdruckskraft nicht nur für die Tiermythologie, sondern 
auch für den christlichen Symbolgehalt, den Beuys neu inter- 
pretiert und mit sparsamsten Mitteln Gestalt werden lässt. Zwei- 
fellos ist der Hirsch hier auch als Zeichen des Leidens 
zu verstehen, als «Begleiter der Seele», wie Beuys ihn betrach- 
tete. !9 E.B. 
Vischer, Theodora: Joseph Beuys. Die Einheit des Werkes. Köln, 1991, S. 240. 
Adriani, Götz; Konnertz, Winfried; Thomas, Karin: Joseph Beuvs. Leben und Werk. 
Köln, 1981, S. 44.7 
Stemmler, Dirk: Multiples. In: Schellmann, Jörg: Werkverzeichnis der Auflagen- 
objekte und Druckgraphik. München, 1992, S. 544. 
Wie Anm. 2, S, 36. 
Zit. nach Adriani, wie Anm. 2, S. 36. 
Ebd.,, S. 45. 
Wie Anm. 3, S. 544. 
Wie Anm. 2, S. 25. 
‘ Ebd,, S. 46. 
? Arici, Laura: The secret block for a secret person in Ireland. In: Joseph Beuys. 
Ausst.-Kat. Kunsthaus Zürich, 1993, 5.201. 
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