Roberto Altmann (*1942)
Notes de lecture IL, 1989
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Collage mit handschriftlichem und gedrucktem Text,
auf Holz aufgezogen
30 X 21 cm
Bez. u. M.: 1989 Notes de lecture II — R Altmann
LSK 809 11
«Ein ganzes Leben damit zubringen, eine einzige Sprache aus-
zuarbeiten? Ja! Eine neue Ausdrucksweise sollte dennoch sich
ergeben: wenn nur der Weg der gleiche bleibt ...».'
Als sich Roberto Altmann in den sechziger Jahren der Bewe-
gung des Lettrismus in Paris anschloss, war dieser — als ur-
sprünglich literarische Strömung — längst auch schon auf die
bildende Kunst übergegangen: Der Begriff der «Hypergraphie»
bezeichnet die Verbindung von Wort und Bild? von Dichtung
und Malerei. Wie sehr Altmann in dieser Bewegung verankert
war, zeigt nicht nur die Herausgabe verschiedener Zeitschriften,
wie z.B. apeiros, sondern auch die Tatsache, dass er zu den
Gründern des «Centre de l’art et de la recherche lettriste» zähl-
te. Seit der «Erfindung» der Collage bzw. des Papier colle durch
Picasso und Braque (1912),? spätestens jedoch seit dem Dadais-
mus, sind Buchstaben und Worte zu wesentlichen, von verschie-
denen Künstlern immer wieder verwendeten Bestandteilen der
5ildenden Kunst geworden, wenn sich Wort und Bild letztlich
auch als eigentlich entgegengesetzte Anliegen erweisen. Male-
rei, die geschrieben wird, oder Schrift, die gemalt wird? Mit
der Visualisierung der Schrift und der Nutzung von Typographie
und Schrift in der Malerei erwachsen dem Künstler neue Mög-
lichkeiten, wird doch das Wort, als etwas Feststehendes, aus
«objektiven» Buchstaben sich Konstituierendes, in den subjekti-
ven, eine eigene Sprache sprechenden Bildzusammenhang ein-
gefügt. Vor diesem Hintergrund der Verzahnung von Wort und
Bild auf verschiedenen Ebenen ist der Einsatz von Geschriebe-
nem in den Arbeiten Roberto Altmanns zu verstehen. auch wenn
der Künstler in der vorliegenden Collage Notes de lecture Il
von 1989 noch einen Schritt weiter geht, indem sich das Wort
von Altmann auf den sinnfreien Schriftzug reduzieren lässt. Be-
drucktes und handbeschriebenes Papier, teilweise aus dem
19. Jahrhundert und aus der Zeit von Napoleon, deckt den Bild-
grund vollkommen zu. Im Überschreiben legt Roberto Altmann
mit den eingefügten Schriftzügen eine weitere Schicht als
zusätzliche Ebene darüber. Er übernimmt zwar den Duktus der
scheinbar willkürlich zusammengesetzten Papierschnipsel, grenzt
die nachträglich eingefügten Schriftzüge durch die Wahl der
Farben — Orange, Gelb und Grün — zugleich aber auch wieder
vom bereits Vorhandenen ab und schafft somit eine überaus
spannende Verbindung zwischen dem geschichtsträchtigen Hin-
tergrund und den aufgesetzten Schriftzügen. Im Aufziehen
auf Holz wird der Eindruck von beinahe objekthafter Räumlich-
keit erweckt.
Wenn die mögliche Verschmelzung von Geist und Materie das
Thema Altmanns in der Malerei darstellt, so kommt dies in den
Notes de lecture fast programmatisch zum Ausdruck. Mit dem
Verzicht auf die Lesbarkeit der eingefügten Schriftzüge — als
Mitteilung innerhalb des Geschriebenen — fällt die zwingende
Beziehung von Form und Inhalt weg. Altmann, aus Kuba stam-
mend, in Liechtenstein und Frankreich lebend, erweist sich als
Künstler, der versehiedene Kulturen und Traditionen verbindend
und verdichtend in sein Werk einfliessen lässt. «In der Arbeit des
Künstlers häufen sich Tradition und Einflüsse. Die Tradition ist
an sich Öffnung und Kreuzung im Zeitablauf.»* AG
Zeitgenössisches Kunstschaffen aus Liechtenstein. Hrsg. Kulturbeirat der Fürstliche:
Regierung. Ausst.-Kat. Palais Liechtenstein, Feldkirch (und weitere Orte). Vaduz
1988, 5.3.
Ebd., S.XXXV.
Typographies. Ecriture. Ausst.-Kat. Maison de la Culture de Rennes, 1978, S. 5
Wie Anm. 1.8?
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