Volltext: Bestandeskatalog

Paul Jenkins (*1923) 
Phenomena Green Ring, 1976 
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Acryl 
76,5 X 56,8 cm 
Bez. u. 1. (Feder in Tusche): Paul Jenkins 
LSK 80.06 
«Ist Schönheit gefährlich, unmoralisch? Ist sie ein Produkt des 
Bösen, das als etwas Verbotenes besonders verlockend ist? Hat 
Schönheit eine dunkle Seite?»' Während eines Besuchs als 
Schüler in einem Schlachthof beunruhigen den jungen Jenkins 
angesichts der faszinierenden Makellosigkeit der Farbe des 
Bluts diese Fragen, auf die er in seinem späteren künstlerischen 
Schaffen immer wieder eine Antwort sucht. Doch nicht dem 
Bösen hat sich Jenkins in seiner Malerei verschrieben, wohl aber 
dem Geheimnis hinter den Dingen; die Natur interessiert ihn nur 
unter diesem Aspekt: «I don’t paint what God did. I paint what 
God is to me.»* 
So ist auch die berückende Farbigkeit von Phenomena Green 
Ring nicht abstraktes Kondensat eines Naturphänomens, son- 
dern Projektionsfläche einer Gegenwelt. Ein breiter Fluss 
schimmernden Grüns zieht sich diagonal durchs Bildfeld, oben 
rechts von einem farblich kontrastierenden Rot-Orange, in der 
linken unteren Ecke von einem dunklen, haarig ausgefransten 
Gebilde begleitet. Die künstlich wirkende Chromatik zielt auf 
Spiritualität. Jenkins’ Vorliebe für kostbare Dinge, für Edelstei- 
ne, Bernstein und Elfenbein, spiegelt sich auch in seiner Male- 
rei. Ihr preziöser Glanz verzaubert, und genau dies wollten auch 
die Magier Gustave Moreau und Odilon Redon, die der Künstler 
verehrt. Trotz abstrakter Formensprache steht Jenkins dem 
romantisch-symbolistischen Entwicklungsstrang der französi- 
schen Kunst näher als der im gleichen Jahr geborene Sam Francis, 
dessen Vorbilder Monet, Bonnard und Matisse primär an forma- 
len Problemen interessiert waren. Sein Interesse an Okkultis- 
mus, Astrologie, Zen-Buddhismus und Jungscher Psychologie 
findet Ausdruck in Bildern, welche ein Fenster — so ein Bildtitel 
in eine andere Welt öffnen, den Schleier vor dem Fremdartigen 
lüften sollen. In Phenomena Green Ring lässt die längsovale 
dunkle Form, die von der grünen Farbe umfangen ist, an einen 
unter der Wasseroberfläche schwimmenden Fisch oder Wal 
denken. Ob diese Assoziation im Sinne des Künstlers ist, bleibe 
dahingestellt; immerhin hat Jenkins schon in den fünfziger 
Jahren in Bildtiteln auf die Figur des Moby Dick Bezug genom- 
men, wie viele Maler des Abstrakten Expressionismus, die in 
dieser Romangestalt ein Symbol des unkontrollierbaren Unbe- 
wussten sahen.‘ 
Hatte Jenkins seine Ölfarben schon früh mit viel Terpentin 
durchsetzt, um ihnen Transparenz und dem Pinsel einen flüssi- 
gen Zug zu verleihen, so brachte 1959 das Experimentieren mit 
wasserlöslichen Acrylfarben den Durchbruch zu einer eigenen 
Formensprache. Die besondere Technik des Farbauftrags liess 
die unverkennbaren Schleier und glasigen Farbflüsse entstehen, 
die Jenkins’ gesamtes nachfolgendes Werk auszeichnen: Die 
Leinwand oder den Halbkarton an den Ecken anhebend, giesst 
der Maler die Farbe direkt aus der Büchse auf den Bildträger, 
Durch das Zusammenlaufen der Farbe bildet sich in der Bild- 
mitte meist eine dunkle Stelle, von wo der Künstler die Farbe 
manchmal mit einem Tuch abtupft oder mit einem Elfenbein- 
messer — dem bevorzugten Arbeitsinstrument — zu den Seiten 
hin verteilt. Die Dynamik des Malakts resultiert in schwungvol- 
len, fliessenden Kompositionen, die eindrücklich demonstrieren, 
wie weit der moderne Naturbegriff von der statischen Natur- 
ordnung der Renaissance entfernt ist.‘ Mit dem Begriff «Pheno- 
mena», der die meist assoziativen Bildtitel einleitet, umschreibt 
Jenkins eine neue Sensibilität der Wahrnehmung: «Unter einem 
«Phänomen; verstehe ich ein Festhalten der ständig wechselnden 
Realität sowohl im Akt des Malens als auch im endgültigen Er- 
gebnis. Ich fühle mich zu dieser Realität hingezogen, nicht weil 
sie die Welt mit ihren Zufällen und Gefahren auszudrücken 
scheint. sondern weil sie mich dem Wunder näherbringt.»* EM. 
Jenkins, Paul; Donelly, Suzanne: Paul Jenkins. Anatomy of a Cloud. New York, 
1983, S. 16 (Übersetzung des Verfassers). 
Elsen, Albert: Paul Jenkins. New York, 1973, S. 19. 
Vgl. dazu Firestone, E.R.: Herman Melville’s «Moby Dick» and the Abstracr 
Expressionists. In: Arts Magazine, vol. 54 (1980), no.7, S. 120-124, 
Schmied, Wieland: Notizen zu Paul Jenkins. In: Paul Jenkins. Ausst.-Kat 
Kestner-Gesellschaft, Hannover, 1963/64, 5. 8. 
Jenkins, Paul: Meine Bilder und ihre Titel, In: Paul Jenkins. Ausst.-Kat., wie 
Anm. 4, S.19. 
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