Antoni Täpies (*1923)
Grand vernis IT, 1982
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Lackfarbe, Acryl und Bleistift
93 X 140 cm
Bez. u. 1.: täpies
LSK 83.15
Malerei und Arbeiten auf Papier bilden bei Antoni Täpies eine
Einheit. Er vertraut dem Papier die gleichen elementaren For-
men an wie der Leinwand, die Inhalte decken sich. Aber was ist
der Inhalt? Was ist das Thema seiner Kunst? Eine Welt aus Zei-
chen, Spuren von Schrift, Kleckse und Graffiti beherrschen die
Bildfläche und geben dem Betrachter wenig Anlass, sie als nar-
rativ oder gegenständlich zu empfinden. Schon 1959 hat Michel
Tapie diese Kunst des katalanischen Künstlers «un autre art» ge-
nannt und damit ausgedrückt, dass sie sich nur schwer einer der
Kunstbewegungen eingliedern lässt, welche die Nachkriegszeit
bestimmen. Täpies ist weder «informell» noch gehört er der
«Arte povera» an — obwohl durchaus Bezüge dazu vorhanden
zind. Aber seine Welt verschlüsselter Zeichen hat einen ganz
individuellen Bildraum geschaffen, der expressiv von einem
vitalen Pinselstrich untermalt wird. Was den Arbeiten auf Papier
fehlt, ist der Materialcharakter, den die Malerei bereits seit Be-
ginn der fünfziger Jahre aufweist und der wesentlicher Bestand-
teil der Bildsprache ist. In Grand vernis II tritt als entscheiden-
des Formelement das Kreuzzeichen auf. Es ist ein Leitmotiv
innerhalb des Werks von Antoni Täpies. Wahrscheinlich hat er
es zum ersten Mal in der Collage Kreuz aus Zeitungspapier von
1946 angewendet. In seinem 1992 entstandenen monumentalen
Tryptichon mit Tüchern entdeckt man es noch immer. Das Kreuz
ist in der Kunst- und Kulturgeschichte kein beliebiges Zeichen.
Es ist ikonographisch besetzt und vermittelt dem abendländi-
schen Menschen Assoziationen, über die ein allgemeines Ver
ständnis herrscht. Täpies setzt Kreuze nicht um ihres Symbol-
gehalts willen ein. Aber natürlich weiss er um ihre permanente
Präsenz in der Erinnerung und rechnet mit ihrer Aussagekraft.
Im Bildorganismus wirkt die Kreuzform belebend. Sie setzt
Akzente in diversen Richtungen der Bildfläche. Im Blatt der
"‚jechtensteinischen Staatlichen Kunstsammlung hat Täpies eine
Dreiecksform aus drei Kreuzen angelegt, die dem Dreieck der
anderen Bildseite entgegenwirken. Ein sich ausbreitender Farb-
fleck verbindet beide. Hier liegt ein entscheidendes komposito-
risches Element: Das Geformte verbindet sich mit dem Un-
geformten, das Geordnete mit dem Zufälligen. Beides sind
Grundmuster seiner Konzeption, die auf diesem Blatt Form
und Inhalt bestimmen. Auch in der Farbgebung ist das Blatt un-
verwechselbar Täpies: Er ist der Maler der dunklen Töne. Ocker,
Braun, Grau sind Stimmungsträger, denen er gerne den Aus-
druck des Bildes überantwortet. Die dunkle Gestimmtheit des
malerischen Werks verleiht jeder seiner Arbeiten eine individu-
elle Seinsebene voller Ernst und von einer oft anzutreffenden
Melancholie. Bilder des Schweigens hat man sie genannt.' Ge-
rade darin aber treffen wir auf die spanischen Wurzeln von
Täpies, die er innovativ neu fruchtbar machen konnte. «Eines
Tages versuchte ich, geradewegs das Schweigen zu erreichen»,
nat Antoni Täpies geschrieben.” Wenn diese Bilder schweigen,
ist es sinnlos;mach ihrem Inhalt zu fragen. Es ist überflüssig,
nach Abstraktion oder Figuration zu fragen. «Die Form zeigt
aicht: sie ist.»? E.B.
Schmalenbach, Werner: Drei Reden über Antoni Täpies. St. Gallen, 1977, S. 14
Zit. nach: Antoni Täpies. Ausst.-Kat, Schirn Kunsthalle Frankfurt, 1993, S. 141.
Valente, Jose Angel: Fünf Fragmente für Antoni Täpies. In: Antoni Täpies.
Ausst.-Kat., wie Anm. 2, S. 142.
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