Jacques Villon (1875-1963)
Portrait Marcel Duchamp, um 1950
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Gouache und Aquarell über Feder in Tusche
26,8 X 20,8 cm
Bez. u. r. (Feder in Tusche): JACQUES VILLON
LSK 78.11
Jacques Villon hat seinen Bruder Marcel Duchamp dreimal sit-
zend in einem Lehnstuhl, mit auf den Arm gestütztem Kopf por-
trätiert. 1951 malt er ein Ölbild,' 1953 entsteht eine Radierung.
Jas Blatt der Liechtensteinischen Staatlichen Kunstsammlung
gehört zu diesen Porträtfassungen; es ist zwar undatiert, aber
antspricht nicht allein in der sitzenden Haltung den beiden da-
jerten Porträts, sondern ist auch stilistisch im Umfeld dieser
Jahre angesiedelt. Seine Datierung ist darum um 1950 anzuset-
zen. Möglicherweise sind alle drei Porträts nach einer Skizze
antstanden, die nicht bekannt ist.
Villon hat immer wieder Bildnisse gemalt und gezeichnet, ob-
wohl sein eigentliches Thema Landschafts- und Architekturan-
sichten waren. «Le portrait m’interesse et toujours m’interesse.
[1 ne faut pas s’obliger ä accaparer la personne. Un portrait doit
se faire tout seul», schreibt er.*
Seine Porträts tragen denselben sanften Klang, der auch seine
Landschaften und Stadtansichten durchweht. In einem gemil-
derten kubistischen Gefüge, das dem Orphismus nähersteht als
den kubistischen Bildern Picassos oder Braques und das eine
ange Verwandtschaft vor allem mit den musikalischen Farbklän-
gen von Frank Kupka zeigt, sind die Porträtierten in ein feines
Liniennetz eingespannt. Mit Feder und Tusche legt Villon die
Umrisse fest und füllt die Flächen dann mit leuchtenden Farben.
Eine festgefügte Konstruktion bildet das Gerüst der Komposi-
tion, in das sich die Farben einschreiben.
Diese Kombination von Festgefügtem und hervorstechender
Farbigkeit war das Prinzip dieses Künstlers: «Comment s’expri-
me la peinture [...] par la couleur, dans une construction rigoreu-
se du tableau.»* Mit dieser Einstellung zur Farbe verrät Villon
seine Herkunft: Nicht vom Kubismus, sondern von den Neoim-
pressionisten und der revolutionierenden Farbigkeit der Fauves
ist er beeinflusst.
Tacques Villon teilte diese Auffassung mit Malern wie Gleizes,
dem jungen Fernand Leger und nicht zuletzt mit seinem Bruder
Marcel Duchamp, als sich dieser noch mit Malerei beschäftigte.
Villons Porträt seines Bruders Marcel ist im wahrsten Sinne des
Wortes ein «leuchtendes» Beispiel dieser reichen Farbakzentu-
jerung, die durch die Pastellhaftigkeit der Töne eine ästhetische,
dekorative Wirkung entfaltet. Aber gerade in dieser herausra-
genden Bedeutung der Farbigkeit ist das vorliegende Blatt rein-
stes Zeugnis der orphistischen Bildauffassung, die der Farbe
allen Vorrang im Bild zuerkennt. E.B.
Abb. in: Kat. Galerie Charpentier. Paris, 1961, o. S., und Vallier, Dora: Jacques
Villon. Paris, 0. J., S. 61.
Vallier, wie Anm. 1, S. 68.
Ehd..S. 80.
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