Henri Matisse (1869-1954)
Nu assis, bras gauche sur la tete, 192€
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Lithographie
ca. 44 X 53,5 cm
46,1 X 56,1 cm
Bez. u. 1.: 22/50 Henri Matisse
Duthuit/Matisse 473
LSK 69.47
Marguerite Duthuit, die Tochter von Henri Matisse, schrieb im
(Euvre-Katalog des graphischen Werkes über ihren Vater: «Les
planches de gravure arrivaient comme d’heureux moments de
detente parmi les seances de travail ardu.»' Matisse hat sich
immer auch mit Druckgraphik auseinandergesetzt, die sein ge-
maltes Werk ebenso wie die Zeichnung kontinuierlich begleitet.
Gravieren ist zeichnen. Aber zeichnen heisst auch immer malen.
Eines ist vom anderen abhängig und bildet zusammen erst den
ganzen Matisse — und hierbei ist die Skulptur noch nicht einmal
erwähnt. «L’ceuvre est l’&manation. La projection de soi-meme.
Mes dessins et mes toiles sont des morceaux de moi-meme
Leur ensemble constitue Henri Matisse».? Er hat in den ver-
schiedensten graphischen Techniken gearbeitet — 829 Blätter
zählt Duthuit auf —, aber wohl das Lithographieren, bei dem er
direkt auf den Stein zeichnete und ihn wie Papier behandelte,
bevorzugt. Manche seiner Lithographien haben einen ausge-
sprochen malerischen Effekt. Die meisten aber bewegen sich im
Linearen und sind von einem so geschlossenen Linienwerk, dass
man sagen möchte, sie wären mit einem einzigen Strich ge-
zeichnet — so auch in der vorliegenden Darstellung einer Lie-
zenden. Hier lebt alles von der Linie, die einmal mit stärkerem,
ainmal mit weicherem Duktus gezogen ist. Sie bestreitet den mit
Arabesken gezierten Hintergrund ebenso wie den plastischen
Frauenkörper, der praktisch nur aus einer Umrisslinie besteht.
Der Gegensatz von kühler, strenger Linienführung und orna-
mentalem Linienwerk des Hintergrunddekors macht den Zauber
des Blattes aus und lenkt uns unausweichlich auf die Malerei
dieser Jahre. Zur Zeit der Entstehung dieses Blattes malt er eine
Frau vor ornamentalem Hintergrund, was wegen des Gegensat-
zes von voluminösem Frauenakt und flachem, dekorativem Hin-
;ergrund die Kritiker auf den Plan rief, als es 1926 im «Salon des
Tuileries» ausgestellt wurde.‘ Auch die Frauenakte der folgen-
den Jahre sind von diesem Verhältnis zwischen Körper und pla-
nem, dekorativem Hintergrund abhängig. Wie auf unserer Li-
thographie bezeichnet diese Dekoration nicht Raum oder Wand,
sondern wird behandelt wie ein für sich existierendes, dekorati-
ves Bildelement. Gerade in den so sparsam angelegten Zeich-
nungen und Lithographien wird die Empfindsamkeit, die Matis-
se in die Linie legt, besonders spürbar. Er war nicht nur ein
Meister der Farbe, sondern auch der Linie. Der Wille zur Har-
monie, der im Werk von Matisse wirkt, der das «Erreichen der
Zinheit» sucht, wird in der lapidaren und zugleich höchst emp-
Äindsamen Linie gegenwärtig. Der Künstler überantwortet den
Gegenstand der reinen Form, auch wenn dieser Gegenstand
seine Phantasie geradezu beflügelt: so im Falle der Frau, die er
in seinem Werk als das entscheidende Leitmotiv nicht müde
wird darzustellen — als Odaliske, als Torso, als Akt. Es erstaunt
nicht, dass Matisse seine Kunst als «calmant cerebral» verstand.
E.B.
Duthuit-Matisse, Marguerite; Duthuit, Claude: Henri Matisse. Catalogue raisonne de
l’ouvre grave. Paris, 1983, Vol.I, S. X
Ebd., S. XII.
- Abb. in: Henri Matisse. Ausst.-Kat. Kunsthaus Zürich, 1982, Nr. 72.
Ebd.
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