Marc Chagall (1887-1985)
Selbstbildnis mit lachendem Gesicht, 1924/25
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Radierung und Kaltnadel
27,5 X 21,5 cm
37,3 X 56 cm
Bez. u. 1.: 78/100, u. r.: Marc Chagall
Kornfeld 42
LSK 84.03
Als Marc Chagall 1922 Russland verliess, nahm er beim Mei-
sterradierer Hermann Struck in Berlin Unterricht in den Techni-
en der Kaltnadel und Radierung und bildete sich darin selbst
zum Meister aus.' Bereits 1923 entstehen seine Radierungen zur
Autobiographie Ma vie, die im gleichen Jahr bei Paul Cassirer in
Berlin erscheinen. 1924 — Chagall war soeben in Paris ange-
kommen — gibt Ambroise Vollard die Illustrationen zu Gogols
Die toten Seelen in Auftrag und stellt bereits im gleichen Jahr 38
3lätter in Paris aus. Chagalls intensive Beschäftigung mit diesen
zraphischen Techniken führt zu meisterhaften Ergebnissen. Sie
<am seiner Intension einer äusserst feinen, sensiblen Behand-
‘ung des Drucks auf das Vollkommenste entgegen. Er konnte
wie mit dem Zeichenstift arbeiten und seinen persönlichen Duk-
us der Platte mitteilen. Das Selbstbildnis mit lachendem Gesicht
%Aillt in diese Zeit seiner Hingabe an die Radiertechnik. Der
‚unge Chagall hat sich mehrfach porträtiert. Man darf das mit
Bleistift skizzierte Aquarell im Centre Pompidou von 1907 wohl
ıls das früheste Selbstporträt Chagalls ansehen. Um 1911 entste-
aen mehrere Selbstporträts im Umkreis des Gemäldes Selbst-
porträt mit sieben Fingern. Mehrfach dokumentiert er die erste
Liebe mit Bella in Porträts der Liebenden — den schönsten Dop-
pelporträts des 20. Jahrhunderts. Das Selbstbildnis mit lachen-
dem Gesicht beruht auf einer Zeichnung zum Doppelporträt mit
Glas.? 1924 entsteht die Graphik Selbstporträt mit Grimasse, die
auf einer Zeichnung von 1917 basiert; diese wiederum hat eine
3leistiftzeichnung von 1911 zur Vorlage.? Kaltnadel und Radie-
cung verwendet er nochmals beim Umschlag für seine Selbst-
biographie Ma vie, die erst 1931 in Paris erscheint und nun den
vorgesehenen Text von Chagall enthält, der in der geplanten
Ausgabe von Cassirer in Berlin fehlte, da Übersetzungsschwie-
igkeiten aufgetaucht waren. Beide Porträts — jenes mit dem
‚achenden und jenes mit dem grimassierenden Gesicht — müssen
zusammen gesehen werden. Sie sind nicht nur brillante Zeug-
nisse von Chagalls Radierkunst, sondern auch motivisch inter-
assant. Beide Male stellt der Künstler sich als Komödiant dar,
der seinem Gesicht einen besonderen Ausdruck zu verleihen
weiss, es gewissermassen inszeniert.“ Mit diesen Werken reiht
er sich ein in die zahlreichen Porträts von Malern in Grenzsitua-
jonen. Sie geben ihrem Selbstbildnis einen von ihnen in Szene
zesetzten, mimischen Ausdruck, der zugleich auch als Maske
verstanden werden kann.” Chagalls Selbstporträts nehmen im
Laufe der Jahre ab. Seit den dreissiger Jahren verschwindet die
Selbstdarstellung aus seinem Werk. Die spielerische, jugend-
iche Unbekümmertheit, das Verliebtsein in eine komödianti-
sche Verfremdung der eigenen Person, verliert sich. Der altern-
de Chagall hat sich nicht mehr porträtiert. E.B
Comton, Susan: Marc Chagall. Mein Leben — Mein Traum. München, 1990, S. 14.
Meyer, Franz; Bolliger, Hans: Marc Chagall. Das graphische Werk. Teufen, 1957,
Mae Chez Ausst.-Kat. Kestner-Gesellschaft, Hannover, 1985, Abb. S. 122.
Vgl. auch Selbstporträt mit Haus auf dem Kopf, Radierung von 1922, und Selbstbild
nis mit verziertem Hut, Radierung von 1928, in: Comton, wie Anm. 1, S. 197 u. 206.
Billeter, Erika: Das Selbstporträt im Zeitalter der Photographie. Bern, 1985,
S. 258-279; Comton, wie Anm. 1, S. 14; Meyer u. Bolliger, wie Anm. 2, Nr. 64;
Marc Chagall. Ausst.-Kat., wie Anm. 3, Abb. 5. 122
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