Kleine Sozialsysteme Entsprechend ist auch eine empirische Überprüfung solch kausaler Hypothesen relativ unproblematisch, weil bereits ein einziger abweichen der Fall (z. B. ein Kleinstaat, der es zur militärischen Grossmacht gebracht hat) hinreicht, um sie zu falsifizieren. Bereits viel lockerer ist das logische Abhängigkeitsverhältnis, wenn man die Relation zwischen Grösse und dem Explanandum nicht als kausale, sondern als
funktionale Beziehung konzipiert. In einem solch funktionalen Sinne kann man z. B. sagen, dass es für Kleinstaaten
nützlich sei, ihre wirt schaftlichen Produktionskapazitäten auf einige wenige Exportmärkte zu konzentrieren, weil sie nur so in der Lage sind, hinreichend grosse und qua lifizierte - und damit international konkurrenzfähige - Unternehmungen auszubilden. Oder man kann argumentieren, dass Kleinstaaten
häufig gut daran tun, sich in Kriegen neutral zu verhalten, weil dadurch das Risiko geringer wird, dass sie als Folge der Kriegsführung ihre Unabhängigkeit verlieren (Lehmbruch 1975). In diesem Falle muss also ein Staat nicht nur
klein sein, sondern zusätz lich auch noch bestimmte
Ziele verfolgen oder bestimmte
Werte hochhalten, damit erwartet werden kann, dass er das besagte Merkmal zeigt. Entsprechend wird die empirische Einlösung funktionaler Hypothesen auch zu einem recht schwierigen Unterfangen, denn zu ihrer Falsifizierung genügt es natürlich keineswegs, dass man «abweichende Fälle» findet. Allerdings darf man erwarten, dass Kleinstaaten, die abweichen, nicht gleichzeitig auch bestimmte Ziele verfolgen können bzw. dass sie in dem Grade, wie sie die für sie funktionale Struktur verletzen, verschärfte Pro blemlagen (z. B. eine geringere Produktivität oder erhöhte Binnenkonflikte) in Kauf zu nehmen haben. Noch indeterminierter ist das dritte, sogenannte
konditionale Ab hängigkeitsverhältnis, bei dem die Kleinheit nur als notwendige, nie mals aber hinreichende Voraussetzung für die Ausbildung bestimmter Strukturmerkmale oder die Realisierung bestimmter Verhaltensweisen fungiert. Wenn man im Sinne von
Jürg Steiner, Arend Lijphart und vielen andern beispielsweise behauptet, dass innerhalb der Eliten kleiner Staaten diffuse interpersonelle Beziehungen überwiegen und «jeder jeden kennt», so darf dies nur in dieser anspruchsloseren Weise verstanden werden, dass die Eliten klein genug sind, um solche Verhältnisse informeller Kohäsion möglich zu machen - während auch völlig gegenteilige Konstellationen denkbar (und auch empirisch beobachtbar) sind, wo Kleinstaateliten nur 97