Volltext: Politischer Wandel in konkordanzdemokratischen Systemen

Wolf Linder Zwang der Regierungsparteien zur Machtbildung und Integration in der Referendumsdemokratie beruht.15 b) Die zweite Innovationschance der Konkordanz bietet die Volksinitia­ tive. Ihrer geringen Bedeutung auf Bundesebene steht die Tatsache ge­ genüber, dass sie in den Kantonen in fast einem Drittel der Fälle zu direk­ tem oder indirektem Erfolg führt, dies oft unter begleitender Unterstüt­ zung von Regierung und Parlament. Von diesem flexibleren Umgang mit Volksbegehren in der politischen Kultur der Kantone könnten auch auf zentralstaatlicher Ebene Lerneffekte ausgehen. c) Historisch durchgehender Zug des schweizerischen Systems ist die Dominanz der bürgerlichen Kräfte. SP, übrige Linke und Kleinparteien haben dagegen nie eine gleichwertige politische Kraft formieren können. Machtpolitisch gab es nie grosse Alternativen. Insofern gibt es innere Möglichkeiten von Konkordanz und ihrer Zusammensetzung, die im System noch gar nie erprobt worden sind. In den gegenwärtigen Um­ brüchen der Parteienlandschaft sind zwei Dinge nicht völlig aus- zuschliessen: Die Linke verschwindet, und die historisch bedeutsamen bürgerlichen Kontrahenten, Freisinn und Christdemokraten, reaktivie­ ren sozio-kulturelle Differenzen. Oder: Links-Grüne Bündnisse, wie sie in einzelnen Städten und Kantonen heute zu beobachten sind, werden zur ebenbürtigen Gegenkraft der Bürgerlichen. In beiden Fällen werden Handlungsfähigkeit und Legitimation des politischen Systems dadurch gesteigert, dass machtpolitische Hegemonialstellungen verschwinden. d) Auf künftige Schwierigkeiten direktdemokratischer Verfassungspolitik unter den Gegebenheiten des gesellschaftlichen Wertewandels und sei­ nes Gelegenheitswählers haben wir vorne hingewiesen. Dem begrenz­ ten Interesse eines Grossteils der Stimmbürgerinnen steht freilich ein steigendes Artikulations- und Partizipationsbedürfnis von Aktivisten ge­ genüber, die sich nicht nur in der traditionellen Form der Wahl und Abstimmung, sondern in unkonventionellen Basisaktivitäten ausdrük- ken und neue Lebensbereiche als «politisch» überhaupt definieren. Auch sie können vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wertwandels in­ terpretiert werden: als individualisierte, persönliche Aktivität, die Partizi­ pation als Eigenwert in der persönlichen Lebenskultur (und nicht mehr als staatsbürgerliche Pflicht) entdeckt. Konfrontieren wir dies mit dem ei­ genartigen Befund, dass Demokratisierungsprozesse im wirtschaftlichen 15 Näheres in: Wolf Linder, Polirische Entscheidung und Gesetzesvollzug, Bern 1987. 80
	        

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