Volltext: Politischer Wandel in konkordanzdemokratischen Systemen

Schweiz nelle Kräfte, mächtig genug geworden, ihr Gruppeninteresse in Referen­ dumsabstimmungen gegen die parlamentarische Politik einzusetzen, wer­ den in den institutionellen Kompromiss eingebunden. Das Volksrecht des (fakultativen) Referendums wird zum Instrument der Organisierten, zur Durchsetzung von Partialinteressen. Es wird als Verhandlungspfand gebraucht und dort eingelöst: Referendumsdrohungen werden am grünen Tisch ausgespielt, dann aber zurückgezogen, falls das Gruppeninteresse im Gesetzeskompromiss ausreichend berücksichtigt ist. Maximalen Einfluss erhält das Referendum also nicht durch seinen faktischen Gebrauch, son­ dern durch seinen Einsatz im pluralistischen Verhandlungsmuster. Die beteiligten Akteure, so sie einen Vorteil ziehen, haben auch ein gemeinsa­ mes Interesse, das übereinstimmt mit dem der Behörden: die Vermeidung des Referendums. In dem Masse also, wie das Instrument des Referendums sich vom Volks- zum Verbandsrecht wandelt, bilden sich die Strukturen des Ge­ samtsystems um. Leonhard Neidhart hat den Weg der institutionellen Um­ wandlungen zur helvetischen Konkordanz ausführlich nachgezeichnet.3 Integration verlangte den allmählichen Einbezug aller grösseren Parteien in den Gesetzeskompromiss und ihre proportionale Beteiligung an der Regie­ rung, die nun seit dreissig Jahren nach der sog. «Zauberformel» unter Be­ teiligung von Freisinn, Christdemokraten, Sozialdemokraten und Volks­ partei gebildet wird. Integration verlangte zudem den Ausbau des vorparla­ mentarischen Verfahrens, in welchem Verbände, Wirtschaftsorganisatio­ nen und Kantone ihre Forderungen zum Ausgleich bringen. Neidharts Analyse zeigt auch, wie schwierig die Entwicklung dieser Integrationsme­ chanismen in einer Gesellschaft war, die sich als extrem fragmentiert und pluralisiert erweist und deren Interessenintegration oft erst unter äusserem Druck auf die Kleingesellschaft gelingt. Das gilt auch für den Konflikt zwi­ schen Kapital und Arbeit, der sich im 20. Jahrhundert vor die historisch­ kulturellen Gegensätze (Sprache, Konfession, Stadt-Land) schiebt. Nach langer und heftiger klassenkämpferischer Konfrontation läutet 1938 das sog. «Friedensabkommen» zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften der Metallindustrie die neue Periode des Verhandlungsmodells der Sozial­ partnerschaft ein. Der parallele Aufbau «wirtschaftlicher» und «politischen) Konkordanz dürfte bedeutsam gewesen sein für die einvemehmliche gesellschaftliche Konflikdösung, wie sie für die Nachkriegszeit charak­ 3 Leonhard Neidhart, Plebiszit und pluralitäre Demokratie, Bern 1970. 71
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.