Volltext: Politischer Wandel in konkordanzdemokratischen Systemen

Gerhard Lehmbruch den. Für die vergleichende Forschung sind vielmehr gerade kleinere Länder wichtig geworden. Und kleinere europäische Länder - Österreich, Schweiz, die Niederlande, Belgien, daneben noch der damals als «Schweiz des Orients» firmierende Libanon - waren auch unsere wichtigsten Fälle. Die Konkordanzdemokratie entsteht demzufolge in Gesellschaften, die in «Subkulturen» fragmentiert sind (also beispielsweise Konfessionen, ideo­ logische Lager oder kulturell in sich geschlossene Sprachgruppen) und die deshalb leicht von Immobilismus und Instabilität bedroht sein können, weil die Mehrheitsbildung schwerfällt. Ich selbst habe in diesem Zusammen­ hang auf die Rolle hingewiesen, die bewaffnete innere Konflikte in der Ver­ gangenheit dieser Länder in der Perzeption der politischen Akteure spielten (vgl. Österreich 1934, Schweiz 1849, Libanon 1860 ff.). Und Lijphart hat das zu der höchst voluntaristischen These gesteigert, in den Konkordanzdemo­ kratien machten die Eliten - die Führer der rivalisierenden Subkulturen - «deliberate attempts to counteract the immobilizing and unstabilizing effects of cultural fragmentation». Voraussetzung sei dabei eine wechselsei­ tige Abkapselung der Subkulturen - oder «Lager», in der österreichischen Terminologie - und eine interne Kohäsion, die ihren Führern die erforder­ liche Handlungsfreiheit für Aushandeln und Kompromissbildung gibt. . Kritiker der Theorie haben nun vor allem diese empirischen Prämissen in der Lijphartschen Version der Theorie angegriffen. Einer ihrer wichtigsten Einwände war, das die Mässigung der Konflikte nicht die 
Folge von kon­ kordanzdemokratischen Arrangements gewesen sei, vielmehr deren Vor­ aussetzung. In der Tat: Wenn wir das Beispiel der Schweiz nehmen, dann hat es nach dem Sonderbundskrieg zunächst vier Jahrzehnte liberal-freisin­ niger Hegemonie gegeben, bevor mit Josef Zemp der erste Vertreter des katholischen Lagers in den Bundesrat kooptiert wurde, und auch in den Niederlanden oder Österreich war die Koalitionsbildung wohl eher Indiz für ein schon erfolgtes Abflachen des Konfliktniveaus. Am besten zeigte sich die Problematik der These Lijpharts an den Fällen, wo man erfolglos versucht hat, unter Rückgriff auf die Theorie der Konkordanzdemokratie virulente interne Konflikte 
durch sozialtechnologische Anwendung eines konkordanzdemokratischen Regelsystems beizulegen (Nordirland; Süd­ afrika, insbes. Natal). Das Problem dieser voluntaristischen Theorievariante besteht offensicht­ lich primär darin, dass Lijphart nicht plausibel machen kann, wieso sich die Eliten der konkurrierenden Subkulturen gewissermassen einen inneren Ruck geben sollten. Daher überschätzt er wohl die Möglichkeit einer so­ 18
	        

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