Gerhard Lehmbruch der Zuweisung von Macht und der Normsetzung mit Hilfe des Mehrheits prinzips und das am ausgeprägtesten im britischen Parlamentarismus be gegnet. Die Prozesse der Machtzuweisung werden dabei über den «Markt» von Wählerstinimen gesteuert: «votes in exchange for policies», wie dies Gabriel Almond formuliert hat. Diese regulative Rolle des Wählerstimmen marktes ist nun im konkordanzdemokratischen Regelsystem deutlich zu rückgedrängt, und an seine Stelle treten Verhandlungsprozesse zwischen Gruppen. Dadurch werden wichtige Minderheitsgruppen in den Entschei- dungsprozess integriert. Formal gilt das Mehrheitsprinzip zwar als funda mentale Entscheidungsregel; politische Positionen werden weiterhin über Wahlen vergeben und Gesetze weiterhin durch Abstimmungen ver abschiedet. Aber die damit gegebene Möglichkeit der Majorisierung von Minderheiten wird ausgeschaltet oder verringert durch 1) Konsensregeln, die das Mehrheitsprinzip überlagern (beispielsweise Vereinbarungen dar über, dass in stark kontroversen Fragen einmütig beschlossen werden muss), 2) spezielle institutionelle Vorkehrungen, die es einschränken (z. B. das Erfordernis qualifizierter Mehrheiten), 3) durch paritätische oder pro portionale Besetzung wichtiger Positionen im politischen Entscheidungs- prozess, sei es durch entsprechende Wahlvorschriften (z. B. verfassungs mässiger Regierungsproporz) oder durch informelle Übereinkunft (freiwil liger Proporz). Da das Mehrheitsprinzip formal nicht ausser Kraft gesetzt ist, kann es also auch einen mehr oder weniger grossen Raum geben, in dem das Mehr heitsprinzip weiterhin angewendet wird. Konkordanzdemokratien sind charakterisiert durch ein «multiples Regelsystem»4, in dem die Konkor danzregeln dominieren. Dies bedeutet aber - und das ist für die neuere Ent wicklung der Konkordanzdemokratie wichtig geworden dass wir hier ein eingebautes Potential an Instabilität haben. Multiple Regelsysteme sind uns in modernen Gesellschaften wohl vertraut, insbesondere in bürokrati schen Organisationen, in denen die formale Hierarchie durch «informelle» laterale (horizontale) Kooperation überlagert wird. Die Abweichung von der Mehrheitsregel ist erklärungsbedürftig. Auf einer ersten Diskussionsebene ist es zunächst wichtig, sich zu vergegenwär tigen, dass das Regelsystem der Mehrheitsentscheidung (wie zuerst John Locke
klargestellt hat) eine evolutionäre Errungenschaft ist, die es über haupt erst erlaubt, komplexe Gesellschaften zu regieren. Wir wissen, dass in 4 Burns/Flam, op. cit. 16