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Das erste, woran ich bei der Schweiz denke, ist das fried-
liche Zusammenleben von verschiedenen Sprachen, Kul-
turen und Religionen in einer Demokratie, die dem Ein-
zelnen viel Freiheit gewährt. Die Schweiz ist für mich im
weiteren ein Land, das es geschafft hat, ohne natürliche
Rohstoffe einen grossen Wohlstand zu erreichen. Diese beiden Kompo-
nenten haben dazu beigetragen, dass die Schweiz auf politisch-wirt-
schaftlichem Gebiet lange Zeit eine gewisse Vorbildfunktion hatte.
Meine persönlichen Beziehungen zur Schweiz reichen weit zurück:
Ich bin in Zürich geboren, habe in Zuoz maturiert, mein Studium an der
Hochschule in St. Gallen abgeschlossen, und wenn ich aus dem Fenster
meines Büros blicke, dann sehe ich die Schweizer Berge. Es gibt sicher
kein Staatsoberhaupt auf der Welt, das mit einem Nachbarland eine so
enge Verbindung hat. Die Jahre in der Schweiz und das Modell Schweiz
haben mich geprägt; ich habe Freundschaften geschlossen, Erfahrungen
gewonnen. Viele Erlebnisse sind mir in guter Erinnerung geblieben.
Gefallen hat mir der Kontakt mit der Bevölkerung, die Selbstverständ-
lichkeit im Umgang gibt einem das Gefühl, dass man mit jemand gleich
auf gleich ist. Man wird nicht, wie das in meiner Position oft der Fall ist,
als etwas Besonderes angesehen.
Die Schweiz hat sich in vielen Beziehungen verändert, ist europäi-
scher geworden, weniger spezifisch schweizerisch. Sie hat dadurch viel-
leicht manches Reizvolle verloren. Ich denke da an die sehr unterschied-
lichen Regionen, die früher bodenständiger waren. Auf der anderen
Seite hat man manches gewonnen, man ist weltoffener geworden.
Gegenüber der Schweiz empfinde ich Dankbarkeit, nicht nur wegen
meiner persönlichen Erfahrungen, sondern auch für unser Land. Wir
müssen uns in Liechtenstein im klaren sein, dass wir die wirtschaftlichen
und politischen Wirren nach dem Ersten Weltkrieg und in den fol-
genden Jahrzehnten nicht so sicher überstanden hätten, wenn die
Schweiz uns nicht mit so offenen Armen aufgenommen hätte.
Was ich an der Schweiz besonders schätze, ist die regionale Vielfalt.
Es gibt die verschiedenen Sprachregionen und innerhalb der Regionen
wieder grosse Unterschiede. Eine Zürcherin, ein Zürcher unterscheiden
sich sehr stark von einer Bündnerin oder einem Bündner oder von der
St. Gallerin oder dem St. Galler. Im weiteren zeichnen sich die
Schweizer durch eine sehr realistische Lebenseinschätzung aus. Im
Unterschied zu manchen Völkern, die vielleicht leichtlebiger, künstleri-