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Die Schweiz ist ein sehr schönes und sauberes Land; Tou-
rismus kommt mir in den Sinn, Wohlstand...
Meine persönlichen Beziehungen zur Schweiz haben sich
gelockert. Ich bin seit 1945 hier, habe Beziehungen aufge-
r baut und mich eingegliedert. Ich fühle mich zu Liechten-
stein zugehörig. Mir gefällt es, ich möchte nicht anderswo wohnen.
Aus meiner Jugend habe ich sehr positive Erinnerungen an die
Schweiz: an mein Elternhaus in St. Gallen, an die Schule, an Freunde.
Ich wäre gerne länger zur Schule gegangen und hätte gerne die Kunst-
gewerbeschule besucht. Aber das war damals finanziell nicht möglich.
Heute sind die Schulen meines Wissens sehr gut, und sie stehen auch
jedem offen, unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten.
Die Schweiz bedeutet mir nicht mehr sehr viel. Aber mir bedeutet
überhaupt kein Land etwas Spezielles. Ich finde, dass man den Nationa-
lismus nicht fördern sollte. Im Gegenteil, man sollte ihn abbauen und
auf die Verständigung unter den Ländern hinarbeiten.
Wenn ich an der Schweiz etwas ändern könnte, würde ich vor allem
das Bankenwesen ändern. Ich finde die Geldwäscherei und die Zinspo-
litik eine Katastrophe. Die Schweizer sind zu materialistisch, es läuft
immer alles nur auf das Geldverdienen hinaus. Sicher sind die Schweizer
auch fleissig, darum geht es ihnen ja so gut. Aber sie wissen eben, wie
sie Geld machen können. Dadurch wird der Mensch vermaterialisiert.
Kürzlich habe ich im Fernsehen und im Radio gehört, dass in einem
Westschweizer Kanton viertausend Menschen unter der Armutsgrenze
leben. Aber wenn es um eine Sammlung fürs Ausland geht, bei einer
Naturkatastrophe, bei einem Krieg, dann ist der Schweizer wahnsinnig
freigiebig. Es ist doch bedenklich, dass man nicht zuerst für die Armen
im eigenen Lande sorgt. Es bringt im Ausland eben mehr Ansehen,
wenn man dort hilft. Das ist im Grunde genommen das, was mir am
Schweizer nicht gefällt: Er ist immer zuerst auf seinen Vorteil aus. Vor
einigen Jahren, im Vorfeld zur UNO-Abstimmung, habe ich mit
einigen Bekannten darüber diskutiert, und die erste Reaktion war: «Ja,
was bringt uns das?» Ich war schockiert und wütend und finde es
schlecht, wenn man nur bis vor die eigene Haustür denkt.
F
Claire Hilti, Schaan, *1911, Schweizerin und Liechtensteinerin, Hausfrau, Rentnerin