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Ich habe in der Schweiz während zwei Jahren die Dolmet-
scherschule besucht und darauf noch ein Jahr in Basel
gelebt. Es war eine schöne Zeit. Ich habe die Schweizer als
weniger kleinkariert kennengelernt, als man mir das als
Kind immer erzählt hat. Ich habe weltoffene junge Men-
schen getroffen, besonders in Basel und habe bis heute Freunde in der
Schweiz. Als negative Erinnerung fällt mir ein Erlebnis ein, das für
einen Teil der Bevölkerung typisch ist: An einer Tramstation liess ein
Farbiger ein Kaugummipapier oder etwas ähnliches fallen. Daraufhin
erboste sich eine alte Frau ganz wahnsinnig. Sie verteufelte sogleich die
ganze Welt, alles, was nicht schweizerisch ist, weil ein Schweizer so
etwas nie tun würde. Die Schweizer sind manchmal engstirnig und
schieben alles Elend der Welt auf andere. Sie halten sich für etwas zu
tüchtig, sie sind Macher, die alles selbst regeln wollen. Eine gewisse
Überheblichkeit also. Andererseits gefällt mir die Zuverlässigkeit. In
der Deutschschweiz ist es zwar schwierig, an die Leute heranzu-
kommen, aber wenn man sie kennt, kann man sich auf sie verlassen.
Ihr grösstes Problem haben die Schweizer zur Zeit damit, sich als
Europäer zu fühlen. Ich glaube nicht, dass sie darauf bestehen können,
nicht Europäer zu sein, während alle anderen einsehen, dass sie mitma-
chen müssen.
Typische Eigenschaften zu nennen ist schwierig, denn -West-
schweizer, Ostschweizer oder Tessiner sind verschieden. Die häufigsten
Eigenschaften der Ostschweizer: strebsam, arbeitsam, sparsam, von
sich selber etwas zu sehr angefressen. Als unmittelbare nachbarn sind sie
uns Vorarlbergern so ähnlich, dass man gewillt ist, über ihre Fehler hin-
wegzusehen, weil man sowieso die gleichen hat.
Als bedeutender Schweizer kommt mir spontan Pfarrer Sieber in den
Sinn, wahrscheinlich deshalb, weil ich in letzter Zeit öfters von ihm
gehört habe.
Ich bin ein politisch desinteressierter Mensch. Natürlich habe ich als
Wirtin ständigen Kontakt zu Schweizern. Meine Informationen über
die Schweiz erhalte ich deshalb hauptsächlich im Gespräch mit meinen
Gästen.
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Christina Bergamasco, Mauren, *1956, Österreicherin, Wirtin
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