Volltext: Wenn ich an die Schweiz denke

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Ich kam kurz nach dem Ersten Weltkrieg in die Schweiz 
und empfand sie als Wunderland. Man bekam alles, was 
zum Beispiel in Österreich nicht mehr erhältlich war, weil 
dort Mangelwirtschaft war. Auch war ich überrascht über 
die Menschlichkeit, mit der man empfangen wurde, wie 
einen die Leute begrüssten und nach einer gewissen Zeit integrierten. 
Besonders ist mir eine Auslandsreise in Erinnerung, die ich mit meiner 
Frau kurz vor Kriegsausbruch gemacht habe. Wir mussten unser Auto 
stehen lassen und mit dem Zug zurückkehren. Als wir an den Bodensee 
kamen, war alles verdunkelt. Wir setzen mit einem Schiffchen über, und 
als wir in die Mitte des Sees kamen, sahen wir hell erleuchtet die 
Schweizer Grenze. Das war unvergesslich. Am Ufer wurden wir von 
den Zöllnern freundlich empfangen «Schnell, schnell, der Zug fährt 
gleich ab,» sagten sie und trugen sogar unser Gepäck zum Zug. 
Ich machte sehr positive Erfahrungen, speziell beim Stellenantritt: 
Als Ausländer musste ich zu den Behörden gehen und war überrascht, 
wie anständig und zuvorkommend ich behandelt wurde. Als Pflanzen- 
schutzberater fuhr ich mit dem Velo landauf, landab. Es war Krieg und 
ich kam in Gegenden, die streng vom Militär bewacht wurden. 
Trotzdem bekam ich immer sofort einen Erlaubniszettel und konnte als 
Ausländer durch befestigte Gebiete fahren. 
Die Schweiz bedeutet für mich eine schöne Erinnerung, und sie ist 
natürlich das Land, wo ich einen Teil meines Wissens erworben habe. In 
den letzten Jahren hat sie sich-gewaltig verändert. Ich habe das Gefühl, 
dass heutzutage der Unterschied zwischen der Deutsch- und der West- 
schweiz sehr gross geworden ist, auch die Beeinflussung des West- 
schweizers durch den Deutschschweizer ist intensiver. An den West- 
schweizern und Westschweizerinnen gefällt mir der Charme und der 
Humor, die leichtere Lebensart. Am Deutschschweizer gefällt mir in 
erster Linie die Bodenständigkeit, die Urchigkeit, die man auch einem 
«bessern» Schweizer noch anmerkt, selbst wenn er perfekt hochdeutsch 
spricht. Professor Laur sagte seinerzeit: «Einem Schweizer klebt immer 
sin bisschen Kuhdreck an den Stiefeln.» Was mir weniger gefällt, ist der 
zunehmende Materialismus. 
Im Laufe der Zeit entwickelt sich ein Land, wie sich ein Mensch ent- 
wickelt: Wenn er einmal einen gewissen Charakter hat, kann man ihn 
nicht mehr ändern. Es wird leichte Verschiebungen geben, aber im 
Grunde wird die Schweiz bleiben, wie sie jetzt ist. Ich bin auch der Mei- 
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