Volltext: Wenn ich an die Schweiz denke

(263) 
A 
Wenn ich an die Schweiz denke, kommen mir Erinne- 
rungen an meine Ausbildung: Ich habe in Luzern das Pri- 
marlehrerdiplom erworben und auch die weiterführenden 
Kurse zum Oberschullehrer in der Schweiz absolviert. 
Die Seminarklasse hält seit der Studienzeit jedes Jahr ein 
Treffen ab. Diese Begegnung ist sehr herzlich, und es entsteht jedes Mal 
ein recht schöner Gedankenaustausch über Erfahrungen im Beruf, über 
Freizeit, die Familie, alles kommt zur Sprache. 
Wenn ich an die Schweiz denke, erwacht in mir aber auch die Vor- 
stellung einer alten Republik, die auch die Mentalität des Volkes geprägt 
hat: Die Schweizer sind sehr selbstbewusst, sie haben ein recht hohes 
Eigenwertgefühl, und Traditionen gelten viel. In Österreich ist man 
vergleichsweise viel autoritätsgläubiger, dort muss man zuerst einen 
Titel haben, bevor man eine Persönlichkeit ist und etwas zu sagen hat. 
In der Schweiz weiss jeder, dass er seinen Platz hat und dort gebraucht 
wird. Der Schweizer ist sehr arbeitsam, er ist verlässlich und genau. Er 
ist eher konservativ, die Staatsform mag diese Einstellung begünstigen; 
er ist zurückhaltend gegenüber Veränderungen, und so hat der 
Schweizer seine Eigenart recht gut erhalten können. Nach aussen ist er 
eher vorsichtig, verschlossen. Bevor er sich öffnet, braucht er eine 
gewisse Anlaufzeit. Dann aber ist der Kontakt umso herzlicher und hält 
vielleicht auch länger an. 
Ich habe seit einigen Jahren die Möglichkeit, als Chorleiter in der 
Nachbarschaft, in Gams,-tätig. zu sein. Dabei habe ich feststellen 
können, dass die dortigen Traditionen noch recht intakt und fast unan- 
tastbar sind. Die Gamser sind vorsichtig gegenüber Neuerungen und 
anderen Bräuchen. Wenn ich vorschlage, wie man etwas anders, viel- 
leicht vorteilhafter machen könnte, dann höre ich schnell den Einwand: 
Das mag im Fürstentum schon gelten, aber wir haben unsere eigenen 
Vorstellungen, man hat es in Gams immer so gemacht. Ich muss auch 
bei der Auswahl der Lieder darauf Rücksicht nehmen. Bringe ich Musi- 
kliteratur aus Vorarlberg oder aus Innerösterreich, so muss ich Vorbe- 
halte gewärtigen. Mein Vorgänger hat einmal Kärntner Lieder für die 
Gestaltung einer Messe eingeübt. Aus den Reihen der Chormitglieder 
kam die verschmitzt-ironische Frage: «Müssen wir auch Schillinge mit- 
bringen, um in die Kirche zu gehen?» 
Durch meine Kontakte bin ich der Schweiz gegenüber offener 
geworden. Bevor ich das Lehrerseminar besuchte, war der Rhein für
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.