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Im Ausland fallen die Schweizer immer wieder auf, wenn
sie alles herablassend mit dem vergleichen, was sie von
Zuhause gewohnt sind. So habe ich erlebt, dass sich in
Pietrasanta einer lauthals über die von ihm bestellte Pasta
beschwerte. Er schimpfte über die Italiener, verkündete,
dass eine Rösti besser sei und warf die Pasta demonstrativ zum Fenster
hinaus. Seine Landsleute am Tisch hatten ihre Freude dabei. Meine
Schwiegermutter war das Gegenteil. Sie hatte etwas an sich, was ich
vorher bei Schweizern weniger kannte. Sie war eine Bauersfrau im
Toggenburg, eine gute Seele, sehr bescheiden, mit ungeheurer Erfah-
rung und überraschenden Fähigkeiten; neben einem grossen Garten
pflegte sie Bauernmalerei und Krippenbau und sang in einem Chor.
Die Schweiz ist ein Nachbar, der mir nicht feindselig gesinnt ist, ein
Partner, dem man vertrauen kann. Sie ist ziemlich berechenbar und gibt
unserem Lande viel, zwar nicht aus reiner Nächstenliebe, doch aber
solange, als die Leistungen mit Schweizer Franken abgegolten und ihre
Interessen nicht beeinträchtigt werden. Die Schweizer sind geschickte,
harte Verhandlungspartner, bauernschlau, mit hehren Grundsätzen,
aber am Ende auch bei einem Kuhhandel dabei. Sie sind Alemannen wie
wir und uns recht nahe. Ich würde mich — zumindest in der Deutsch-
schweiz — schneller daheim fühlen, als in manchem anderen Land. Mir
gefällt die Reinlichkeit, eine gewisse Zuverlässigkeit und ein gewisses
Qualitätsbewusstsein. Auch, dass verschiedene Volksgruppen mitein-
ander leben können, trotz unterschiedlicher Religionen und Sprachen,
Geschichte und Kultur, ist hervörragend. Die Welt könnte sich daran
ein Beispiel nehmen.
Grundsätzlich soll jedes Land, jedes Volk und jede Kultur sich selber
bestimmen. Ich möchte daher anderen Ländern, auch der Schweiz, nicht
vorhalten, was geändert werden sollte. Hingegen mache ich mir
Gedanken über die Ausländerpolitik. Die Ausländer werden ausge-
schlossen, wo immer sie uns eine Konkurrenz werden könnten. Wir
brauchen sie da, wo sie uns zum wirtschaftlichen Vorteil gereichen,
denn nur das zählt. Darin ist uns die Schweiz — leider! — ein Vorbild.
Wir leben im selben Wirtschaftsraum und müssen — oder dürfen — uns
an die schweizerische Fremdenpolizei-Gesetzgebung halten, obwohl sie
in vielem unmenschlich ist.
Der Schweizer ist von seinem System überzeugt; er meint, was er
macht, sei das einzig Richtige. Ich erlebe das im Beruf, in der Politik, in
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