Volltext: Wenn ich an die Schweiz denke

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A Bas 
Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich die Schweiz, 
jeden Tag. Sie ist ein reiches Land. Die Ostschweiz ist 
direkter Nachbar des Fürstentums Liechtenstein und 
gehört zum Lebensraum seiner Bewohner. Ich kenne dort 
ganz angenehme Zeitgenossen. Ich habe zwei Jahre in 
Winterthur gearbeitet, aber das ist schon lange her. In jungen Jahren 
hatte ich zwei Freunde in der Schweiz, mit denen ich in die Berge 
gegangen bin. Damals war das Bergsteigen noch nicht so in Mode wie 
heute, wo man anstehen muss, wenn man aufs Matterhorn will. Auch 
die Kameradschaft war ganz anders. Alle waren gleich, ob das Italiener, 
Deutsche oder Schweizer waren. Wir waren einfach Bergsteiger. 
Die Schweiz mit ihren verschiedenen Kulturen und vier Sprachre- 
gionen ist für mich vor allem ein neutrales Land in Europa, fast das neu- 
tralste überhaupt. Allzu grossen Einfluss auf die Weltpolitik wird sie 
jedoch vermutlich nicht nehmen können. Schweizer, die im Ausland 
gearbeitet oder gelebt haben, sind aufgeschlossener als jene, die nur ihr 
eigenes Dorf kennen und entsprechend stur sind. Zudem gibt es Unter- 
schiede zwischen Westschweizern, Tessinern und Deutschschweizern. 
Jenseits des «Röstigrabens» und im Tessin sind die Menschen lustiger, 
lebensfroher und weniger ernst. Ich kannte mal einen Welschen, der 
ständig zu spät zur Arbeit erschien, doch es hiess einfach: «Der ist so, da 
kann man nichts machen.» Der Deutschschweizer hingegen ist pünkt- 
lich, arbeitsam und zuverlässig. Er ist fast noch arbeitsamer als der 
Deutsche. Sr 
Ein Problem sind vermutlich die Fichen-Affäre und die EMD-Skan- 
dale; in der Schweiz hätte ich sowas nicht für möglich gehalten. Aus- 
serdem fordert die Frage der europäischen Integration auch der Schweiz 
grundlegende Entscheidungen ab. Sie wird es sich vermutlich nicht lei- 
sten können, eine Insel ausserhalb der EG zu bleiben. 
Wilhelm Tell kann man nicht als den bedeutendsten Schweizer 
bezeichnen; er ist eine Symbolfigur und historisch nicht nachgewiesen. 
Vielleicht war Henri Dunant der bedeutendste Schweizer. 
Gegenüber Kritik sind Schweizer etwas empfindlich. Viele glauben, 
die Schweiz sei etwas Besonderes. Vielleicht stimmt’s sogar. 
'üZJeinz Michels, Schaan, *1934, Deutscher, Schriftsetzer-Meister 
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