Volltext: Wenn ich an die Schweiz denke

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Ich habe in der Schweiz einen Teil meiner Ausbildung 
gemacht. Im Kantonsspital Chur habe ich als Unterassi- 
stentin und als Personalärztin gearbeitet und dann eine 
zweijährige Facharztausbildung für Anästhesie absolviert. 
Die Struktur des Spitals und auch der persönliche Um- 
gang ist sehr kollegial und weniger hierarchisch als in deutschen Spitä- 
lern. In schlechter Erinnerung ist mir, dass damals jede Stelle, die von 
einem Ausländer besetzt war, jährlich neu ausgeschrieben werden 
musste. Wenn sich ein Einheimischer meldete, dann hatte der Ausländer 
zu gehen. Auch meine Stelle wurde zweimal in der Zeitung ausge- 
schrieben, das bedeutete jedesmal ein bis zwei Monate Ungewissheit. 
Dazu kam damals, 1975, die Schwarzenbach-Initiative gegen den 
hohen Ausländer-Anteil. Das hat zu vielen heftigen Diskussionen am 
Kantonsspital geführt. Die meisten Schweizer haben zwar eingesehen, 
dass die Schweiz auf die Ausländer angewiesen ist. Aber das ungute 
Gefühl, dass man eigentlich unerwünscht ist, blieb. 
Was mir an der Schweiz gefällt, ist die schöne Landschaft, die Berge, 
der normalerweise wunderschöne, in höhreren Lagen nebelfreie 
Winter. An den Menschen mag ich, dass sie immer freundlich sind, 
selbst mit Ausländern, die sie ja eigentlich nicht so schätzen. Ich habe nie 
erlebt, dass ich bei einer Behörde oder am Arbeitsplatz «muff» oder 
unfreundlich behandelt worden wäre. Eine weitere Eigenschaft des 
Schweizers ist seine besondere Korrektheit, die bis zum Schulmeisterli- 
chen gehen kann. 
Ein Punkt, den ich an der Schweiz sofort ändern würde, ist die Auto- 
bahnvignette. Hier hat die Schweiz eine besonders «gründliche» Lösung 
getroffen. Sie verlangt quasi ein Eintrittsgeld in ihr Land. Ich sehe diese 
Vignette überhaupt nicht ein; sie zeigt, dass der Schweizer nicht europa- 
weit denkt. Wenn jedes Land eine Vignette einführt und ebenso wie die 
Schweiz verlangt, dass sie an der Windschutzscheibe angebracht wird, 
könnte niemand mehr zur Windschutzscheibe hinaussehen, weil sie 
vollgeklebt sein wird; folglich könnte er auch nicht mehr autofahren. So 
würde die Idee der Autobahnvignette ad absurdum geführt. 
Das derzeit grösste Problem ist die Zugehörigkeit zu Europa, poli- 
tisch klarzustellen, auf welchem Zug die Schweiz mitfahren will, ob sie 
sich ganz isoliert oder so integriert, dass sie nicht nur davon profitiert, 
sondern auch bereit ist, für Europa etwas zu geben. Vielleicht könnte 
die Schweiz auch als Insel sehr gut überleben, sozusagen als «Spar- 
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