Volltext: Liechtenstein: Kleinheit und Interdependenz

Gerard Batliner stand vorerst vor der Kommission und dem Gerichtshof zur Diskussion. Nach Art. 64 EMRK können Vorbehalte allgemeiner Art nicht angebracht werden. Kommission und Gerichtshof kamen zum Ergebnis, der Schwei­ zer Vorbehalt sei ungültig, er sei zu allgemein und zu unbestimmt formu­ liert und enthalte auch keine kurze Inhaltsangabe der betreffenden konven­ tionswidrigen nationalen Vorschriften.142 Auch wurde eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 festgestellt, weil keine genügende gerichtliche Prüfung des Falles und kein öffentliches Verfahren gewährleistet gewesen war.143 Claudia Westerdiek kommt in einem Aufsatz zum Ergebnis, dass die liechtensteinischen Vorbehalte gültig sind.144 Kritik wird dagegen wegen des Ausmasses der Vorbehalte geübt. Jochen A. Frowein, der erste Vizepräsi­ dent der Europäischen Menschenrechtskommission, schreibt 1985:145 «Ganz besonders fragwürdig erscheint auch die Praxis, die der jüngste Mitgliedstaat der Konvention Liechtenstein bei der Ratifikation verfolgt hat. Durch eine Vielzahl von im einzelnen auch rechtlich zweifelhaften Vorbehaltserklärungen hat Liechtenstein den Versuch gemacht, bestimmte Entscheidungen des GH in ihrer Wirkung für die Geltung der Konvention in bezug auf Liechtenstein auszuschliessen. Wenn man das System der EMRK insoweit mit den Europäischen Gemeinschaften vergleicht, so sind die Unterschiede augenfällig. Wäh­ rend bei dem Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften jede einzelne Frage einer Ubergangsregelung oder einer Sonderbehandlung genauer Klärung im Verhandlungsprozess bedarf, ist es aufgrund der EMRK möglich, dass Staaten einseitig weite Bereiche des Rechts für sich aus­ klammern. Wenn die vielbeschworene Bereitschaft besteht, das System der EMRK fortzuentwickeln, so müsste zunächst hier begonnen wer­ den. Die Staaten müssten ernsthaft dazu veranlasst werden, die Vor­ behalte genau auf ihre Notwendigkeit, Angemessenheit und auch dar­ aufhin zu überprüfen, ob diese als mit dem System vereinbar angesehen werden können. Es ist verständlich, dass Staaten, die die Konvention 142 GH 132, 26 ff. (§§ 55, 59). 143 Ebenda, 31 f. (§§ 70, 72). 144 Die Vorbehalte Liechtensteins zur Europäischen Menschenrechtskonvention, in: EuGRZ 1983, 549 ff. 145 Frowein/Peukert, 487 f.; ebenso Frowein, Reservations to the European Convention on Human Rights, in: Melanges en l'honneur de Gerard J. Wiarda (Hrsg. Matscher/Petzold), Köln 1988, 193 ff. 152
	        

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