Gerard Batliner Betrachten wir nun Art. 11 EMRK. Absatz 1 ist in bezug auf die Rechts träger absolut («Alle Menschen») formuliert. Ausnahmen, Beschränkun gen, sind nur in den im Absatz 2 umschriebenen Fällen zulässig. Kommis sion und Gerichtshof haben zu diesen Schrankenvorbehalten (z. B. von Art. 8-11 EMRK) eine feste Auslegungstechnik entwickelt: Die Einschränkung muss, wie übrigens auch nach der liechtensteini schen Verfassung, erstens gesetzlich vorgeschrieben sein. Es kann sich um geschriebenens oder ungeschriebenes (z. B. in Grossbritannien) Recht han deln. Vom Gesetz oder der Norm wird verlangt, dass sie für den Bürger genügend zugänglich ist. Der Bürger muss im gegebenen Fall über genügend Angaben in bezug auf die anwendbare Norm verfügen.114 Wir erinnern uns in diesem Zusam menhang an die bedeutsame Entscheidung des Staatsgerichtshofes, wonach schweizerische Bundesgesetze aufgrund der Vereinbarung über die Handhabung der Fremdenpolizei und aufgrund des Zollvertrages in Liechtenstein erst Wirksamkeit erlangen mit der liechtensteinischen Kund machung im vollen Wortlaut."5 Die Norm im Sinne der EMRK muss nicht nur zugänglich sein, sondern auch einen solchen Bestimmtheitsgrad auf weisen, der es dem Bürger erlaubt, sein Verhalten danach auszurichten.116 Man nennt diese beiden Anforderungen an das Gesetz «Akzessibilität» und «Previsibilität». Die gesetzlichen Einschränkungen müssen zweitens einen der im Kon ventionstext, also in Abs. 2, abschliessend"7 umschriebenen Zwecke
verfol gen, also «im Interesse der nationalen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung... notwendig» sein. Die Einschränkung muss drittens «notwendig in einer demokratischen Gesellschaft» sein. Die angewandten Mittel müssen im konkreten Fall ver hältnismässig sein im Hinblick auf die gesetzlich zulässigen Zwecke. Für den Notwendigkeitstest wird - bei durchaus gegebener nationaler Ermes sensmarge - ein dringendes soziales Bedürfnis (ein «pressing social need», 114 Urteile Sunday Times, GH 30, 30 f. (§§ 47,49); Silver, GH 61, 33 (§ 87); Barthold, GH 90, 21 (§ 45). 115 Vgl. oben S. 124 f. 116 Urteile Sunday Times, GH 30, 31 (§ 49); Silver, GH 61, 33 (§ 88); Malone, GH 82, 32 (§ 67); Barthold, GH 90, 22 (§ 47). 117 Frowein/Peukert, 191 Ziff. 11. 142