Volltext: Liechtensteiner Umweltbericht (1990) (27)

Seite 18 Liecht. Umweltbericht, Mai 1990 Pionierstandorte - Ödland - Ruderalflächen In unserer Natur ist ein Kommen und Gehen, es fängt an, es endet. Diese Abläufe unterbinden wir Menschen immer mehr, für uns können sie Katastrophen darstellen. Wir nennen sie dann Brand, Stürme, Wasserfluten oder Borkenkäfer. Mario F. Broggi, Triesen Im 
Talraum Liechtensteins finden wir im Gampriner Seelein den letzten grossen Zeu- gen eines dynamischen Ablaufes mit einem stürmischen Beginn. Vor der Rheinregulie- rung dürfte dieser Standort einst Raum für einen Flussarm gegeben haben. Nach der Korrektur floss hier ein Kanal, welcher dem Betrieb einer Mühle diente. Nach dem Dammbruch 1927 bei Schaan zwängte sich ein grosser Teil der Fluten zwischen dem rechts- seitigen Rheindamm und dem Fuss des Schel- lenbergs in Richtung Ruggell, wohl den vor- gegebenen alten Fluss-Strukturen folgend. Bedingt durch die Düsenwirkung in dieser Engstelle kolkte das Wildwasser einen Gra- ben in den weichen Untergrund. Das Gampri- ner Seelein, unsere grösste, natürliche Was- serfläche im Rheintal, war geboren. In Jahr- hunderten wird diese stehende Wasserfläche allmählich verlanden, zum Flachmoor werden und dann 
verwalden. Der Auwald seinerseits kann wieder einmal Opfer einer grösseren Überschwemmung und weggerissen werden. Der Kreislauf wäre dann geschlossen. Diese Kreisläufe in der Natur werden durch unsere Gegenmassnahmen selten, nur wenig darf wieder von vorne beginnen. Ein übertriebe- ner Ordnungssinn weist zudem auch im klein- sten jeder Fläche ihren klar definierten Nut- zungszweck zu. Aus unserer egozentrischen Sicht ist alles, was nicht von uns in Beschlag genommen wird, Öd- oder «Un»-land und dort wächst folgerichtig «Un»-kraut und es gedeiht das «Un»-geziefer. Können wir uns aber von dieser einseitigen Betrachtung lösen, so stossen wir auf eine wahre Wunderwelt. Die Schwemmlinge des Alpenrheins Nach jedem massiven Eingriff beginnt wieder Leben. Die entstandenen Nischen werden durch Pioniere im Pflanzen- und Tierreich genutzt. Die Kiesbänke des Rheins bilden eine derartige Wunderwelt auf Zeit. In der Kulturszene würde man dieser Anordnung, mit all den Farben und Formen «Land-Art» sagen. Auch hier herrscht neben toter Mate- rie mit Steinen und Sand Leben. Einjährige 
Pflanzen nutzen die kurzen Zeiträume zwi- schen den Überschwemmungen, um zu blü- hen und rasch zu versamen. Der Flussregen- pfeifer, eine seltene Watvogelart, legt seine Eier in vollständiger Tarnung zwischen die Steine und nutzt demgemäss diese Tarnung. Einiges von diesem Reichtum findet sich auch entlang der unteren Begehungswege am Rheindamm. Der Alpenrhein ist so lebendi- ger Anschauungsunterricht für das Kommen und Gehen in der Natur, kurz für dynamische Abläufe. Restflächen gibt (gab) es überall Der massive Eingriff mag die grosse Über- schwemmung, ein Erdabrutsch, ein Windwurf im 
Waldareal, ja im Detail der umgestürzte Wurzelteller eines Baumes darstellen. Die Pionierflächen finden wir auf zeitweise unge- nütztem Areal der Plätzen, der Bahn, in Kies- gruben, am Wegrand, im verlassenen Werk- hof. Diese Rohböden und offenen Stellen können nass, feucht, trocken, nährstoffarm oder -reich-sein, je nach der Art ihrer Aus- gangslage. Diese Bewohner der Rest- und Zufallsflächen, die auch die scheinbar lebens- feindlichsten Flächen wieder besiedeln, heis- sen Ruderalpflanzen. Der Name leitet sich vom lateinischen rudus = Schutt, Ruine ab. Derartiges Neuland, aufgebrochenes Land, schafft auch der Bauer auf seinem Ackerland. Dort entwickelte sich einst neben den Kultur- pflanzen eine reiche Ackerbegleitfora. Zu ih- nen gehören der Mohn, die Kornrade, die Kornblume, das Adonisröschen und der Ak- kerrittersporn und viele andere. Die Saatgut- reinigung und ein steter Herbizideinsatz hat diese Segetalflora (lat. seges = Saat, Acker- feld) vertrieben und deren Vielfalt bei uns weitgehend aussterben lassen. Die in Neuan- saaten für Naturgartenwiesen mitberücksich- tigten gefüllten Kornblumen und der Mohn täuschen uns Buntheit kurz vor, sind aber als Vorspiegelung falscher Tatsachen zu werten, da es sich ja um neu einstige Ackerunkräuter handelt, die auf den offenen Boden und nicht -in den Rasen gehören. Zur Planung und Anlage von Pionierflächen Die vorherige Schilderung zeigt, dass es ein leichtes ist, Ruderalfluren auch im eigenen 
Dr. Mario F. Broggi Freierwerbender Okologe, Naturschutz- büro mit Arbeitsschwerpunkt in Schweiz — Liechtenstein — Österreich, zahlreiche Veröffentlichungen und Verbandstätig- keiten, u. a. seit 1983 Präsident der In- ternationalen Alpenschutzkommission CIPRA mit Sitz in Vaduz und Vor- standsmitglied der LGU. Garten oder für Gemeinden auf öffentlichem Grund gewähren zu lassen. Wir lassen uns hierbei von den unterschiedlichen Bildern der Natur leiten. Auch im eigenen Garten können wir derart interessante Stellen finden. Hier in Stichworten ein paar Tips zum Gewähren lassen: — Im Regenschatten von Gebäuden bilden sich extreme Pionierstandorte. Mit Verzicht auf Humusierung und Belassung von Sand und Kies sind die günstigen Grundlagen geschaffen. Finden sie dort einige dolinen- artige kleinere Trichter, dann ist es gelun- gen den Ameisenlöwen anzusiedeln. Seine Larven leben von Ameisen, woher der Na- me stammt. — Auf flachen oder wenig genutzten Dächern kann auf einer dünnen Kiesschicht von nur 10-20 cm bereits eine wertvolle Pionierflä- che geschaffen werden (statische Rahmen- bedingungen abklären). Die Fetthenne (Sedum) des Rheindamms findet auf derar- tigen Flächen günstige Bedingungen. Sie ist ihrerseits wieder die Futterpflanze für die Raupe des Apollofalters. — Auf Restflächen im Garten kann man Stein- oder Holzhaufen hinwerfen. Sie bie- ten Unterschlupf. Es wird daraus auch eini- ges an pionierartigem gedeihen, so z.B. die Budleija — der Sommerflieder, der seiner- seits im Blühaspekt viele Schmetterlinge anzieht. — Besonders auf trockenem, offenem Boden setzen sich Pioniere fest. Welch Freude, wenn hier plötzlich die Kamille, der Mohn, das Leinkraut oder die Königskerze sich festsetzt und jedes Jahr irgendwo neue Sämlinge in den Ritzen zwischen den Stein- platten aufkommen. — Übergänge sind in der Natur wertvolle Säu- me, wo sich zwei Welten treffen. Der Weg- rand kann so eine wahre Wunderwelt dar- stellen. Die blaue Wegwarte ist das i-Tüp- felchen dieser Saumgesellschaften, die schönen Blüten werden bei der grössten Hitze eingerollt. Auf nährstoffreichen Stel- len wird sich die Brennessel einstellen. Auf sie sind ihrerseits mindest 25 verschiedene Schmetterlingsraupen-Arten angewiesen.   Im Dorf im Grösseren belassen Im Siedlungsbereich gibt es viele Restlände- reien. Gewähren lassen, anstelle des bisher ausgeübten Herbizideinsatzes oder der regel- mässigen sehr aufwendigen Mahd, gäbe Platz für Vielfalt. Weniger tun, ist in dem Fall mehr. Eine etwas schwer zu vollziehende De- vise für den reinlichen Alemannen. Ein erwei- tertes Bild erlaubt Toleranz für die wilde Kar- de, Distel- und Klettenarten, für das Spring- kraut, den Natternkopf, die Nachtkerze und wie sie alle heissen mögen.
	        

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