Volltext: Liechtensteiner Umweltbericht (1989) (26)

Liecht. Umweltbericht, Dezember 1989 
Seite 15 Veränderung des Beziehungsgefüges Innerhalb dieses Prozesses wird alles zur Wa- re, nicht nur die Dinge, auch die Menschen. Und Waren haben ihren Wert. Die Verände- rung der Umwelt schliesst eine Veränderung der Mit-Welt und Wert-Welt mit ein. Die überlegene Kultur der Mauren wurde etwa ab dem 10. Jahrhundert in zunehmen- dem Masse übernommen von den Klöstern Frankreichs. Arabischer Einfluss, von Sizilien ausgehend, machte sich auf der Apenninen- halbinsel bemerkbar. Eine neue Welle der Kultivierung ging dann von den Klöstern aus und erfasste bald den gesamten europäischen Raum. Neben den Klöstern konzentrierte sich wirt- schatliche Machtstellung bald in den aufkom- menden Städten. Und es ist wiederum — wie in der Antike — eine Kultur der Bürger der Städte. Ich kann nun in Ermangelung von Zeit nicht eingehen auf einen Prozess zunehmender Ver- städterung, nicht auf die Festlegung bestimm- ter Konventionen darüber, was wissenschaft- liches Denken ist, abgeschlossen im 16./17. Jahrhundert, nicht auf die 1., geschweige denn auf die 2. industrielle Revolution. 
Geistige Ursachen Ich möchte nur zusammenfassend — natürlich auch simplifizierend — auf die geistigen Ursa- chen dieser Entwicklung verweisen: 1. Das tradierte naturwissenschaftliche Den- ken ist ausgerichtet auf die Erfassung von Teilen und übersieht allzuleicht die Komplexi- tät des ganzen und es ist linear. Rahel Carson hat vor vielen Jahren schon in ihrem Buch «Der stumme Frühling» auf die Gefahren die- ses Denkens verwiesen, denn organische Sy- steme sind nicht linear, sondern vernetzt. Es ist hoch an der Zeit, nicht nur linear zu den- ken, sondern vernetzt. 2. Mathematisches Denken ist ausgerichtet auf einen Zweck hin — selbst dort, wo es nicht mit Zahlen operiert. Aber ein auf Zweck hin ausgerichtetes Denken ist nur eine mögliche Denkweise, ein besinnliches Nach-denken, auf Sinn ausgerichtetes Denken, eine andere, heute zunehmend notwendig werdende. 3. Eine Werthaltung, die ausgerichtet ist auf ein immer mehr an Haben von Dingen, er- weist sich als verhängnisvoll, ebenso wie ein Produktionsapparat, der nicht nur elementare Bedürfnisse befriedigt, sondern der so lei- stungsfähig ist, dass künstliche Bedürfnisse geschaffen werden müssen, um ihn in Gang zu halten. Die unerhörte Ausbeutung und Bela- stung der natürlichen Umwelt durch die vom 
Menschen hergestellten Dinge hat eine Situa- tion geschaffen, die zu einem tiefen Kultur- pessimismus Anlass gibt. Zurück zur Natur? Ich bin damit wieder an meinem Ausgangs- punkt angelangt und möchte mit einem Hin- weis schliessen. Im Jahre 1750 schrieb die Akademie von Dijon einen Wettbewerb aus. Sie stellte die Frage, ob der Fortschritt der Kultur die Menschen gebessert habe. «Nein, überhaupt nicht», das war kurz zusammenge- fasst die preisgekrönte Antwort eines jungen Bürgers der Stadt Genf. Er hiess Jean-Jac- ques Rousseau. Man hört oft, er haben gesagt und geschrieben: «Zurück zur Natur». Das stimmt nicht und lässt sich nicht belegen. Sa- gen lässt sich nur dies: er pries einen glück- lichen naturhaften Zustand der Menschen. Und er mahnte, die Erinnerung an diesen Urzustand zu bewahren, um die gegenwärti- gen Verhältnisse vor noch schlimmeren zu bewahren. Wir alle wissen, dass es einen Weg zurück zur Natur nicht gibt. Wir alle wissen auch, dass eine grundlegende Veränderung menschlicher Verhaltensweise not-wendig ist, eine Verän- derung im Denken, Fühlen und Wollen. Über das Denken habe ich einiges gesagt, weil jede Veränderung im Kopf beginnt. 
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