Volltext: Liechtensteiner Umweltbericht (1988) (24)

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Liecht. Umweltbericht, September 1988 Nulltarif - für mehr Automobilität? Über den Nulltarif für öffentliche Verkehrsmittel in Liechtenstein wird viel diskutiert. Die Verkehrszählungen belegen, dass vom erhofften Umsteigeeffekt noch nicht viel zu spüren ist. Nach wir vor ist das Auto Trumpf. Mario F. Broggi macht sich Gedanken zu diesem Phänomen. Mario F. Broggi, Thesen Es freut einen jetzt, gut besetzte Busse in Liechtenstein fahren zu sehen. Ins Malbun 
  müssen zeitweise gar zwei oder drei Busse gleichzeitig eingesetzt werden, um dem An- sturm gerecht zu werden. Die Förderung des öffentlichen Verkehrs stellt zweifellos ein wichtiges Umweltanliegen dar und viele Städ- te wie auch die SBB haben denn auch dra- stisch die Tarife gesenkt, um Anreize für ein Umsteigen zu schaffen. Das prosperierende Liechtenstein geht mit dem Nulltarif noch einen Schritt weiter. Nach einem halben Jahr der Praxis seien mit diesem Beitrag hierzu einige Gedanken dargelegt. Das Rad — der Sündenfall? «Manchmal überfällt mich die unheilvolle Ah- nung, die Erfindung des Rades könnte der leibhafte Sündenfall gewesen sein. Neben der, 
  Manipulation mit dem Feuer war dies die folgenschwerste Innovation des Menschen: Sie potenzieren die menschlichen Fähigkei- ten, sie machen den Menschen unendlich grösser, schneller, unbegrenzter», schrieb kürzlich der Zürcher Sozialethiker Professor 
Hans Ruh. Ganz offensichtlich werden Be- grenzungen gesprengt: Die Mobilität ist ein hervorstechendes Element und Merkmal der Moderne. Unter Einsatz einer gewaltigen In- frastruktur haben wir damit auch vieles in uns und in unserer Landschaft kaputtgemacht, in die Reichweiten unserer zivilisatorischen Ein- flüsse gebracht. Erreichbarkeitsgewinne füh- ren zu Entwicklungsimpulsen, denen unsere Raumplanungsbemühungen selten gewachsen sind. In kürzester Zeit haben wir ungeheuer effizient Eisenbahnlinien, Autobahnen und Flugplätze aus dem Boden gestampft. Sie sind Spiegelbild, vor allem was die Autobahnen betrifft, unserer Aufbruchsstimmung der spä- ten 1950er und frühen 1960er Jahre und wer- den bis heute, unter veränderten Rahmenbe- dingungen, immer noch volldurchgezogen. Nicht nur der Ethiker muss ob der frappanten Entwicklung Bedenken anmelden. Ermessen wir überhaupt diese Nivellierung, ja häufig Zerstörung, welche durch diese totale Mobili- tät vor sich geht? Kann man sich überhaupt gegen dieses Paradigma der Modernität zur Wehr setzen und damit gegen die ungeheuere Lust an zivilisatorischer Bequemlichkeit? Kann man die Geisteshaltung «der freien Fahrt für den freien Bürger» mit dem unbe- siegbaren Glauben an das technologisch Mög- 
liche und damit auch in der Folge zu Bewälti- gende (Stichwort Katalysator) überhaupt be- einflussen? Dr. Mario F. Broggi ist Inhaber eines Büros für Umweltplanung in Vaduz. Er ist ausserdem ehrenamtlich Präsident der Int. Alpenschutzkommission (CI- PRA), Präsident der Botanisch-Zoolo- gischen Gesellschaft Sargans-Liechten- stein-Werdenberg und Mitglied des Vor- standes der LGU. • Wer berappt die Verkehrskosten? Alleine auf der Grösse eines Stecknadelknop- fes in der Welt werden in der Schweiz pro Jahr 80 Milliarden Kilometer gefahren, das ist 2 000 mal die Strecke von der Erde auf den Mond. Der dadurch verursachte Stickstoff- ausstoss beträgt in der Schweiz 20 Tonnen pro km'. Und wenn da erst einmal die Schwellen- und Drittweltländer aufholen? Der motori- sierte Privatverkehr verursacht Kosten, die er bis heute nicht selbst trägt. Er bürdet uns soziale Kosten durch Abgase, Lärm und viel Tragik (Radiomeldung: Die Unfallstelle ist geräumt) auf. Sie werden von einer ganz bestimmten Gruppe — den Auto- mobilisten — verursacht, jedoch Dritten, z.B. den Anwohnern mit Lärm oder aber der All- gemeinheit, z.B. in Form der Waldschädi- gung, zugemutet. Und zwar in zunehmend hohem Ausmass. So schätzt eine Studie, die durch die neuarti- gen Waldschäden bedingten und zur Erhal- tung der Schutzfunktion anfallenden Kosten im schweizerischen Bergraum auf ca. 44 Mil- liarden Schweizer Franken für die kommen- den 20-30 Jahre. Ging deswegen ein Auf- schrei durch die Lande oder konnten damit etwa die Hauptbetroffenen aufgerüttelt wer- den? Wohl kaum, man geht jeweils schnell nach der Hiobsbotschaft wieder zur Tagesord- nung über, man verdrängt. Es wird zwar durchaus versucht, die Verkehrspolitik zu än- dern, so etwa durch technisch-juristische Massnahmen wie Abgastests, Geschwindig- keitsbeschränkungen, Verkehrsberuhigung in Wohngebieten und eben mit dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Bereits melden sich aber auch die Gegenströmungen 
mit Leser- briefen, dem Ventil des Volkes, oder mit der Autopartei. Mobilität weiterhin gefördert Was wurde mit den bisherigen Massnahmen erreicht? Staat und Gemeinden steckten bis- her gewaltige Summen in den Strassenbau. Auch in den öffentlichen Verkehr werden jetzt beachtliche Beträge aus dem Topf der allgemeinen Steuermittel aufgebracht. Die politische Forderung an den Staat, den öffent- lichen Verkehr auszubauen, verbunden mit der nach wie vor freien Wahl des Verkehrs- mittels, führte zwar zu einer Ausdehnung des Angebotes, nicht aber zu einer Erhöhung der Verkehrseinnahmen aus dem Mehrverkehr. Es entstehen so neu externe Kosten, welche wieder die Allgemeinheit zu zahlen hat. Die erhoffte Zunahme des öffentlichen Verkehrs ist zwar eingetreten, doch der private Verkehr hat sich deswegen kaum gemindert.
	        

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