Volltext: Liechtensteiner Umweltbericht (1985) (18)

Liechtensteiner Umweltbericht 
Seite 9 Idee ist jene des Philosophen Jesus: das Postulat der Liebe. Würde nämlich diese tra- gende Idee verwirklicht, hätten wir auf Erden paradiesische Zustände. Ein erneuerter Zeitgeist verlangt neue tragende Ideen Die tragenden Ideen der Gegenwart, die uns niederzureissen drohen, die uns orientie- rungslos gemacht haben, habe ich oben ange- deutet. Die neuen tragenden Ideen sollen uns zurückführen in eine Welt des Vertrauens, der Überschaubarkeit, der Solidarität, der Natur- verbundenheit: — 
Ehrfurcht vor dem Leben, auch als Biophi- lie bezeichnet — Menschlichkeit und Kreativität (statt Ein- kommen) als gesellschaftlicher Massstab — 
Selbstakzeptanz und Fremdakzeptanz (mein Selbst leben und andere ihr selbst leben lassen) — Leben nicht nur für den Lebensgenuss, son- dern vor allem als Vorbereitung für das Leben nach dem Tode — körperlich-geistige Bewegung pflegen als Grundfunktion des Lebens, somit Dynamik anstreben mit offenem Denken — Einssein mit der Natur (Der Naturkundeunterricht in den Schulen ist vielerorts die Langeweile selbst. Lehrer, die nicht den geringsten Bezug zur Natur haben, lehren Biologie und erteilen Noten: so verdirbt man den jungen Menschen den Zugang zum Staunen, zum Forschen, zur Verinnerlichung der ewigen Geheimnisse der Natur.) -Leben  als Weg zu besseren moralisch-ethi- schen Einsichten — vereinheitlichte staatliche Ordnung mit Fernziel Weltstaat als Ablösung der Natio- nal- und Territorialstaaten — internationale, eindeutige Umweltcharta, mit der sich die Länder verpflichten, um- weltgerechte Politik zu betreiben — internationale Friedenscharta mit dem Fernziel, Rüstung und Krieg zu verbotenen Handlungen zu erklären — Bevölkerungsdichte im Einklang mt der na- türlichen Umwelt usw. Umweltfreundliche Wirtschaft Es darf nicht darum gehen — wie dies gewisse Grüne möchten —, die Wirtschaft zu zerstö- ren. Unsere Wirtschaft ist ein gläsernes Ge- bäude. Bricht es ein, ruft dies rollenden Er- eignissen wie Revolution, Chaos, Hunger und Krieg. Umweltschutz und Wirtschaft dürfen nicht mehr gegeneinander antreten. Umweltschutz und Wirtschaft müssen sich un- ter einem erneuerten Zeitgeist zusammen- finden: — 
Einsatz neuer, umweltverträglicher Tech- nologien — schrittweise Entwicklung der Wirtschaft in der Dritten Welt (von der Land- und Forst- wirtschaft zum Gewerbe, dann erst zu mo- dernen Formen) — 
qualitatives statt quantitatives Wachstum — Verursacherprinzip in bezug auf die Bela- stungen von Erde, Wasser und Luft usw. Dies bedeutet ein organisches Einschwenken der Wirtschaft, auf ökologische Erfordernisse. Wir brauchen dazu Jahre, wenn nicht Jahr- 
zehnte. Aber es ist eine freudige Herausfor- derung an unsere jungen Ingenieure. Es be- stehen heute gewaltige Marktnischen für eine umweltgerechte Wirtschaft. Hätten wir für umweltfreundliche Energien den gleichen Forschungsaufwand betrieben wie für die Pe- trochemie, wir hätten längst einen abgasfreien Autoverkehr. Es gilt aber auch, die Wirtschaft von den immer 
drückender werdenden staatlichen Fesseln zu befreien, wollen wir nicht den Pio- niergeist abtöten. Marktwirtschaft und freier Welthandel müssen einen höheren Stellen- wert erhalten. Weniger Staat und mehr Eigen- verantwortung ebnen den Weg zu besseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Einsicht ist die Brücke von Erkenntnis zum besserem Verhalten. Dieser Satz, weil Theorie, will erläutert sein. Ich war früher Raucher. Es war meine Er- kenntnis, das Rauchen sei für mich schädlich. Doch das änderte nichts am Verhalten: ich rauchte weiter, obwohl ich die Erkenntnis hatte. Sodann befasste ich mich sehr ange- strengt mit meinem Problem, las immer wie- der darüber, führte mir die Folgen vor Au- gen, malte mir meine (bessere) Welt ohne Zigarette aus, führte mir fortlaufend geistige Zückerchen zu, wie schön es wäre, ohne die lästige Qual der Selbstvorwürfe herumzu- schleichen . . . Es war eine lange Zeit mühsamer Einsichtsar- beit. Je intensiver ich mich damit befasste, desto aufgerüttelter wurde ich, und je länger es dauerte, desto mehr wuchs meine innere Kraft — bis hin zur Überzeugung, bald einmal genügend stark zu. sein, um auf ganz-natürli- che Art überzeugter, selbstbewusster (nicht selbstsicherer) Nichtraucher zu werden. Eines Tages, den ich nicht vorausbestimmt hatte, war ich Nichtraucher. Die Anstrengung be- stand nicht im Willensakt, nicht mehr zu rau- chen, sondern in der Einsichtsarbeit. Es gibt genügend Gegenbeispiele: wieviele Raucher geben das Rauchen auf, weil sie vor der Wahl zwischen gesundheitlichem Ruin oder Aufgabe des Rauchens stehen! Hier schafft Leidensdruck das, was im vorherge- henden Beispiel Einsicht vermocht hat. Es ist schwieriger, über Einsicht Verhalten zu ändern als über Leidensdruck: Man ist immer wieder geneigt, Unangenehmes zu verschie- ben, bis sich der Leidensdruck einstellt. Wie unvernünftig! Die Einsicht beginnt mit rational gewonnener Erkenntnis. Sie wird sodann geistig entwik- kelt, bis sich ein Zustand psychischer Erre- gung, Aufrüttelung, Überzeugung ergibt. Je aufgerüttelter dieser Zustand, desto grösser die Aussicht auf Erfolg. Dieser seelische Auf- bruchzustand entspricht dem schon erwähn- ten Leidensdruck, der jedoch rational, ohne Schaden auszurichten, herbeigeführt wird. Ist die psychische Aufrüttelung grösser als die Trägheit, kräftiger als die Gefängnismauer des Gewohnten, ergibt sich die erwünschte Einsicht, die als Brücke zu verbessertem Ver- halten führt. Auf den Umweltschutz zurückkommend, be- deutet dies: jeder Mensch muss aus der Er- kenntnis, Umweltschutz sei nötig, Umweltein- sicht in sich entwickeln. Wir müssen uns täg- lich prüfen, wo wir verzichten, wie wir um- weltgerechter leben können. Wir müssen uns wachrütteln, bis wir erschüttert, letztlich über- zeugt sind. Mühselige Innenarbeit ist dies, ein 
Kampf gegen Trägheit und Gewohnheit. Ge- meinsam ist jedem Einsichtsstreben für eine bessere Umwelt: 1. Vom gegenwärtigen Zeitgeist Abstand ge- winnen und lernen, unsere Lebensweise täglich kritisch zu hinterfragen. 2. Aus genügendem Abstand zum Zeitgeist zum mutigen Ausbrecher aus dem allzu Gewöhnlichen, Trägen, Hörigen werden, hin zum Kreativen, Suchenden, Stre- benden. 3. Uns vor Augen führen, dass der gegenwär- tige Zustand der Menschheit eine Ein- bahnstrasse in ein unbeschreibliches Elend ist. Dies kann auch mein Elend sein. Be- stimmt aber wird es zum Elend meiner Nachkommen. 4. Leben nicht nur in die Zukunft betrachten, sondern von der fernsten Zukunft rück- blickend: das Wesentliche des Lebens ist besser erkennbar, wenn wir uns vorstellen, was am Lebensende wichtig sein wird. Es sind eher die opera caritatis, die Werke der Barmherzigkeit der Bibel denn die Auto- marken, die ich gefahren bin. Es ist nicht die Frage, ob ich Angestellter oder Direk- tor war, reich oder arm. Dann dreht sich alles um die Frage, wieviel ich gegeben habe, ohne dabei an das Nehmen zu denken; wieviel Wärme ich gespendet ha- be; ob ich ein Leben in Menschlichkeit ge- führt habe. Es ist dies die Methode der retro- spektiven (zurückschauenden) Einsicht. Es ist meine tiefste Überzeugung: Umwelt- schutz ist letztlich nur über einen weniger materialistischen Zeitgeist möglich. Ich habe in einem Aufsatz im Umweltbericht Nr. 15/84 versucht, weitere Zusammenhänge aufzu- zeigen. Die Summe unserer individuellen Einsichten prägt den Zeitgeist aus, formt ihn. Es liegt somit an jedem einzelnen, sein Teil am Zeit- geist beizutragen. Wir vergessen nur zu leicht, dass wir alle mehr oder weniger charismati- sche Einflüsse auf unsere Mitmenschen aus- üben. Mutiges Ausbrechen aus Fehlverhalten wird gerne von geistig und seelisch verwand- ten Menschen übernommen. Selbstbewusste denken offen, selbstsichere geschlossen. Selbstverwirklichung heisst somit, sein Selbst suchen (das wir nie finden und doch täglich erstreben, erfühlen müssen; denn Menschsein ist nie fertig, Idealzustand). Das Selbst aber beeinhaltet auch unser Kollektivbewusstsein, das Gemeinsame mit allen Menschen. So ist Selbstverwirklichung niemals blosser Indivi- dualismus, sondern Menschsein in der Ge- meinschaft der Menschen. Der Niedergang der Ehe zeugt von der Domi- nanz der Lust über die Last von Verantwor- tung, Solidarität und Verzicht: der Partner soll beliebig austauschbar werden, er wird zum Konsum- und Wegwerfartikel. Nehmen ist alles, Geben ist fremd. Liebe wird auf Sex reduziert, Naturerleben auf irrtümliche Pro- grammwahl von Grzimeks Tiersendung (Man hat zwei Minuten zu früh auf den Krimi umge- schaltet). Homo homini lupus: wir sind uns selbst Feind und wissen es nicht mehr auf der Flucht vor uns selbst. Unlust-Intoleranz, wo- hin wir blicken! Die Drogenszene ist das Resultat von Angst. Unter Drogen verstehe ich auch Alkohol, vor allem das Gläschen, das über dosierte, bewus- ste Gewohnheit hinausgeht.
	        

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