Volltext: Liechtensteiner Umweltbericht (1984) (15)

Politik und Umwelt 
April 1984 
Seite 8 noch einseitig den Arten-, Pflanzen-, Tier- schutz und andererseits die landwirtschaftli- che Nutzung. Das gehört meiner Ansicht nach vielmehr zusammen.» — Regierungsrat Dr. Oehry: «Es kann aber doch nicht der Sinn des Natur- und Landschaftsschutzes sein, beispielsweise ein Gebiet, das im Stadium des Versumpfens ist und keinen landwirt- schaftlichen Ertrag mehr bringen kann, des- halb in diesem Zustand zu erhalten, . . . nur weil wir dann einige Pflanzen in diesem Ge- lände haben, die nur unter diesen Vegeta- tionsbedingungen leben können.» FBP-Programm 1982: «... die Abwehr von Geruchs- und Lärmbelästigung ist zu einer der wichtigsten humanitären und voraus- schauenden Aufgabe geworden.» Oder VU- Programm 1978: «Unser Wohlstand bleibt nur sinnvoll, wenn wir es verstehen, ruhige Wohn- und Erholungsgebiete zu sichern.» - Die Gemeinde Balzers hat sich für einen Heli- kopterlandeplatz entschieden und der Ge- meinderat Mauren erteilte kürzlich eine Be- willigung für Helikopterlandungen in Mauren für Wohlstandsflüge an einem Samstag über die Alpen und Wälder. In Wirklichkeit verfallen wir den Normen Die Parteiprogramme sind durchwegs illu- striert mit Fotos wunderschöner Bäume und Landschaften. Dies sei Anlass für einen klei- nen Exkurs: In der Wirklichkeit verfallen wir der Norm. Das geht von Normbriefkästen über normierte, vorfabrizierte Teile bei Bau- ten, Strassen bis zur Kanalisation von Bä- chen. Die Dörfer gleichen sich an. In den Parteiprogrammen hingegen wird bildlich mit tieferen Wünschen operiert. In der Wahlwer- bung kommt der emotionale Wert der Land- schaft zur Geltung. Da wird nicht mit ge- normten Landschaften geworben, sondern genau mit jenen Inhalten, die wir aus dem Alltag verdrängen: Mit schönen Bäumen in weiter Landschaft, verwehtes Laub, sich schlängelnde Pfade oder winklige Gassen und Höfe, als Symbol, dass nicht alles grad sein muss. Zu den Normen: Klaus Schädler Journalist, Red.) fotografierte für das Vaterland die Strasse in die Balzner Industriezone, auf der fünf Personenwagen nebeneinander fahren können. Der planende Ingenieur schreibt in einem Leserbrief dazu: 
«Herr KS nehmen Sie zuerst einmal zur Kenntnis, dass die von Ihnen beanstandete Breite den Normen ent- 
spricht und dass die Erfüllung der Normen Voraussetzung für die Gewährung einer Sub- vention ist. Übrigens wäre Ihnen zu empfeh- len, sich den Unterschied zwischen einer Au- tobahn und einer Sammelstrasse . . . ganz allgemein, zwischen einer Strasse und einem Weg erklären zu lassen . . Für die Beurtei- lung der Breite einer Strasse gehört neben der Kenntnis der Funktion der Strasse noch eine Portion Weitblick.» — Ich zitiere das, weil die Ingenieure zu den einflussreichsten Bera- tern von Regierungs- und Gemeinderäten gehören. Das Weltbild der Planer, ihr Ton, ihre Diskussionsfähigkeit erscheinen mir wichtig. Planung: Mauren z. B. hat eine Bauzone von 247 ha, die derzeit zu 14 % überbaut ist. Bei einer 60 %igen Ausnutzung der zulässigen Aus- nützungsziffer ergäbe sich für Mauren eine Einwohnerzahl von 17 500. Dies entspricht einer Steigerung der Bevölkerung um 600 %. Gegen die Stellungnahme der Naturschutz- kommission wurde die Bewilligung zum Bau ♦ 
Überdimensionierte Quartierstrassen einer Dreifachtennishalle in der reizvollen Hecken- und Erholungslandschaft im Tries- ner Forst erteilt. Auf der Strecke vom Restaurant Sareis bis zur Alpe Turna wurden maschinell sogenann- te «Wiederinstandstellungsarbeiten» am be- stehenden Skipistenweg durchgeführt. Das Ergebnis war die Rodung von 150 m2  Legföh- ren. Die dazu notwendige Rodungsbewilli- gung lag nicht vor. Die Regierung verfügte nicht nur keine Sanktionen, sondern ent- schuldigte das gesetzwidrige Verhalten mit einem anderen Verstoss: «Bei ähnlichen Vor- haben, so insbesondere der seinerzeitige Pi- stenweg am Sareisergrat» sei «ebenfalls oh- ne Rodungsbewilligung erstellt worden.» Jo- sef Biedermann resignierte im Landtag: Das Pflücken einer Blume im Malbun sei unter Strafe verboten, die Zerstörung einer 150 m2   grossen Vegetationsfläche aber werte die Regierung nicht als Verstoss. — Oder: Die Silumer Bünda und Alpelti wurden durch eine Strasse für Motorfahrzeuge zugänglich ge- macht. In den 60iger Jahren, als es Naturschutzdis- kussionen erst am Rande gab, war es mög- lich, eine Berglandsanierung durchzusetzen. Und heute all dies. Dazu das VU-Programm 
1982: «Die noch unberührten Alpengebiete müssen vor der Überbauung und Erschlies- sung geschützt werden. Ebenso sind äusse- re Immissionen wie der Motorfahrzeugver- kehr in Erholungsgebieten in Berg und Tal auf das Notwendigste zu beschränken. Wir wer- den uns für Natur- und Landschaftsschutz einsetzen.» — Die Ironie des Schicksals wollte es übrigens, dass im VU-Programm 1982 genau jene romantische Landschaft mit wei- denden Kühen abgebildet ist, wo heute durch Sonderbewilligung der Regierung das Hotel Rizlina steht. Fussgänger und Strasse: In den Programmen: «Vermehrte Berücksich- tigung von Fussgängerwünschen» (VU- Eschen) oder «Im Strassenbau ist vermehrt darauf zu achten, dass diese auch eine Funk- tion für Menschen und nicht nur für Autos haben.» (FBP Mauren) oder «Die Verkehrssi- cherheit auf dem Schulweg muss verbessert werden» (FBP 1982). Zur Wirklichkeit die Sta- tistik: Die Zahl der Verkehrsunfälle «Auto ge- gen Fussgänger» stieg im Jahre 1982 gegen- über dem Vorjahr um mehr als das Doppelte, also eine Zunahme von mehr als 200 %. Da- von verunglückten jeden Monat nahezu 2 noch nicht 14jährige Kinder auf unseren Strassen, insgesamt 22; ein Fussgänger war tot. Auch die Unfälle Auto gegen Moped/ Fahrrad stiegen um 
1/3 gegenüber dem Vor- jahr. Vizeregierungschef Hilmar Ospelt an der Jungbürgerfeier 1983: «Wir haben lange Zeit nicht gemerkt, dass wir mit jeder Strasse, die wir durchaus wohlmeinend verbreitert oder neu gebaut haben, ein Stück Landschaft op- ferten. Wir haben nicht realisiert, dass wir mit der Erschliessung der letzten Ecke unserer Landschaft in Berg und Tal gleichzeitig auch unseren Lebensraum immer mehr eingeengt, statt erweitert haben.» — Es wurde nicht ge- merkt. — Jetzt aber, nochmals Hilmar Ospelt: «Erst als . . . die voll engagierte Erwachsen- engeneration sich bewusst wurde, dass . .   begann für unsere Gesellschaft jene Phase der Umkehr, in der wir uns jetzt befinden.» - Volksblatt 4. Juni 1983: «Die Betonierung einer Strasse . . im Vaduzer Riet bezeichne- te RR Dr. Oehry als das minimalisierte Pro- gramm der Meliorationsgenossenschaft . Der Fahrweg ist nach den Worten Oehrys aber relativ breit ausgefallen, und zu allen Vorteilen, die er biete, mache er sich in der Landschaft absolut nicht schön.» Phase der Umkehr. Nur noch eine letzte Bemerkung, Sie wollen diskutieren. Wir sind so ungemein beschei- den geworden. Wir sind so dankbar, wenn Tempo 50 mindestens schon diskutiert, das Strassenbauprogramm 1984, wie ich höre, redimensioniert sei, eine Strassenbreite wie in Gamprin-Padäl auf Grund einer LGU-Inter- vention um 50 cm reduziert wird, hier weni- ger gesalzen oder dort kein Gift gegen Gras verwendet wird. Die Politiker wollen zwar in Umweltfragen eine «unzweideutige Haltung» (Dr. H. Batli- ner) einnehmen, aber auch den Weg der Mit- te, des Masses «zwischen den Extremstel- lungen», wie es heisst, gehen.  — Die Alternati- ven, vor die wir uns gestellt sehen, werden extrem sein. Danke.
	        

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