Seite 4 Science Fiction
November 1982 Es wird wieder einmal Herbsteszeit Idyllische Gedanken eines Mannes im Jahre 2005, der 1975 geboren wurde (von Henning Frhr. von Vogelsang) «Wenn sich die gegenwärtigen Ent- wicklungstrends fortsetzen, wird die Welt im Jahre 2000 noch übervölker- ter, verschmutzter, ökologisch noch weniger stabil und für Störungen an- fälliger sein, als die Welt, in der wir heute leben». So steht es als einlei- tende Worte in der Zusammenfassung des Berichtes «Global 2000», dem Zu- kunftsbericht zur Umweltproblematik an den amerikanischen Präsidenten. Die Nutzholzvorräte gehen voraus- sichtlich um 50 % pro Kopf zurück. Die Wälder der Erde verschwinden heute schon mit einer Geschwindig- keit von 18-20 Millionen Hektar jähr- lich (ein Gebiet von der 1250fachen Grösse Liechtensteins). 20%
aller (K?)eine Science-fiction- Story Es wird wieder Herbst. Ich liebe diese Jahres- zeit. Ich sitze nach getaner Arbeit am Fenster und schaue hinaus. Von der Strasse her tönt gedämpft das Rauschen und Brummen vor- überfahrender Autos herauf, traulich und ein- tönig-friedlich. Tief sauge ich den so vertrau- ten Duft der Abgase ein, die heuer besonders würzig zu sein scheinen. In der Ferne häm- mert munter ein Presslufthammer, es scheint charakteristisch für diese Jahreszeit zu sein. Ich schaue hinaus. Im Abendrot sieht die Silhouette der restlichen kahlen Nadelbäume besonders bizarr und interessant aus. Früher, als diese Bäume auch im Winter noch ihre Nadeln behalten haben sollen, hätte ich die- sen Anblick nie geniessen können. Doch gott- lob haben wir eine gewisse Sättigung der Atmosphäre mit dem kraftvoll reinigenden Schwefelsäuren, da wird alles weichlich- süssliche eliminiert, desinfiziert, hygienisch. Auf meinem Fensterbrett liegt eine verendete Meise. Eine herrlich bunt schillernde ver- spätete Schmeissfliege macht sich daran zu schaffen. Ich liebe sie, diese putzigen, flinken Gesellen, die man jetzt so oft sieht. Sie sind auch ein Zeichen für das Kraftvoile in der Natur: der Stärkere überlebt. Wer hatte sich nicht schon über die alles verschmutzenden, entnervend quietschenden Vögel geärgert, die manchmal selbst in versehentlich geöff- nete Glasdächer der Gartenbeete eindran- gen? Früher sollen diese ja unbedeckt gewe- sen sein, man stelle sich dieses Gezeter vor und die ewig herumliegenden Blätter der Bü- sche. Mit diesem Unsinn ist man dann auch abgefahren. Die schmucken Plastikbüsche, die in den 70er-Jahren in Frankreich aufka- men, haben sich endlich durchsetzen können. Es wird langsam dunkel. Von der anderen Seite des Rheins grüsst die Silhouette der Schweizer Berge herüber. Als die letzten Bäume endlich eingegangen waren, wurde
Tier- und Pflanzenarten werden un- wiederbringlich verloren gehen. Die Konzentration von Schadstoffen in der Atmosphäre wird in einem sol- chen Masse zunehmen, dass sich das Klima auf der Erde bis zum Jahre 2050 entscheidend verändert. Sind da die nachfolgenden Gedanken des Mannes mit dem schwarzen Hu- mor so abwegig? Oder gibt es nicht viele der geschilderten Details schon, z. B. die Kunstbäume an der Auto- bahn in Südfrankreich, die Abgasregen in den urbanen Zentren. Der Fata- lismus, der aus der Geschichte zu sprechen scheint, ist nicht nur Resi- gnation, sondern zur Anstrengung motivierend gemeint. Red. der Fels ziemlich rasch saubergefegt. Lawi- nen taten ein Übriges. Ist sie nicht herrlich, die karge Schönheit der Natur, wie sie sich jetzt dem Auge bietet? Was hat der Mensch nicht alles versäumt, als er künstlich den Baumbestand sogar noch zu pflegen trachte- te. Zurück zur Natur ist die Devise! Früher meinte man damit irrigerweise die ersten <<Waldeslu-u-u-st Aus: Kölner Stadt-Anzeiger Gehversuche der Natur, heute denkt man, durch die Verhältnisse geschult, konkreter, realistischer: Natur, das ist das, was ist, das ist Wandel, Vergehen und Werden. Und da der Mensch auch ein Stück Natur ist, ist sein Schaffen heute zu Recht der dominierende Teil dieses Werdens. Unten sehe ich im Schein der trüben Laterne, die von Millionen Insekten umschwirrt ist, die sich angepasst haben und die letzten Vögel auch noch besiegen werden, den Nachbarn mit seinem Hund spazierengehen. Welche Idylle, der Hund, das Bein am Hundepfahl hebend, der alte Herr mit seiner altmodischen Atemmaske, das Tier im putzigen Säure- schutzmantel, liebevoll mit resistenter Poly- merwolle von Frauchen umhäkelt! In der Fer-
ne ertönt nun das lustige Signalhorn des Not- arztwagens, der ein paar Schwächlinge auf- zusammeln unterwegs sein wird, die wegen ein paar Blasen auf der Haut oder ein biss- chen Bluthusten gleich in Panik geraten. Die junge Frau im Garten auf der anderen Stras- senseite verbrennt gerade ein paar Abfälle vor der Haustür. Das Feuer mit seinem fetten schwarzen Qualm setzt dem idyllischen Abend die Krone auf. Unten jault der Hund. Offenbar ist er in eine Wasserlache getreten und hat sich die Pfoten verätzt. Eine Nachlässigkeit seines Herrn, der vergass, ihm die Schutzpantoffeln anzulegen. Ja, die alten Leute die lernen nie dazu . Etwas fehlt an diesem Abend: der trockene Husten aus dem Nachbarzimmer. Nichts Ern- stes, wie ich mir versichern liess, der arme Kerl hatte nur Salat aus dem Balkonkistchen gegessen, aber er ist selber schuld, wenn er solche blödsinnigen und gefährlichen Selbst- züchtungsversuche unternimmt. Das weiss ja ein Schulkind besser! Sie hoffen, ihn bald wieder heimschicken zu können, der Magen sei allerdings ziemlich angegriffen. Auch er wird sich an Biobrei gewöhnen müssen. Immer diese Extravaganzen, das ist das gan- ze Übel. Kürzlich hat mir jemand unter der Hand eine echte Kartoffel verkaufen wollen. Das muss man sich einmal vorstellen! Inzwi- schen ist er gestorben; ich glaube, er hat Wasser dazu getrunken, das er im Behälter auf dem Balkon zu sammeln pflegte, wenn es regnete. Völlig umsonst hat der seine
Rege- nerationsanlage in der Küche gehabt. Nun ist es dunkel. Es ist ruhiger geworden in unserer Gegend. Richtung Norden ist es ganz ruhig, man meint manchmal nur, ein schwaches grünliches Glühen schimmern zu sehen. Aber ich halte das für übertrieben, der Reaktor ist ja einbetoniert worden, als er nicht mehr zu reparieren gewesen war. Die Überle- benden sind weggezogen, als man die Sperr- zone auszudehnen begann. Ich werde nun die Kerze anzünden. Echtes Stearin ist teuer geworden, man muss spa- ren, drum warte ich immer etwas. Als es noch Strom gab aus Kohle und Öl, war immer alles so grell. Die Idylle des Herbstes, wie ich sie erlebe, musste da völlig untergehen. Ich wer- de vielleicht den Schutzmantel und die Maske nehmen und ein paar Schritte im Abendgas machen, es wird den Allergiejuckreiz mildern. Ich bin zum Einsiedler geworden, seit die meisten Verwandten das Zeitliche segneten. Die Krankheiten, gegen die nun keine Mittel mehr helfen, haben ja unerklärlicherweise zu- genommen. Das Märchen von der Überreak- tion des chemiegeplagten Körpers glaube ich nicht, denn wo gibt es noch chemische Fabri- ken, wenn schon sonst kaum noch welche existieren? Vielleicht liebe ich den Herbst, weil er meiner herbstlichen Lebenseinstel- lung nahekommt. Immerhin bin ich schon dreissig, also im Greisenalter. Mein Plätz- chen für die Urne habe ich mir schon ausge- sucht. Ist ja egal, ob es meine Asche ist, die sie aus der Verbrennungsanlage an die Ver- wandten, sofern vorhanden, spedieren. Ich bin eben einfach ein Romantiker.