Die Rüfe
Wenn der Vaduzer von der Rüfe spricht, dann meint er die Mühleholzrüfe,
die mächtigste und allzeit gefährlichste des Landes, Zwar hat die Spaniarüfe
im vergangenen Jahrhundert Verheerungen im herrschaftlichen Gut Unterspania
(heute Bürgerheim) angerichtet, und noch in diesem Jahrhundert hat sie die Land-
straße zweimal überschüttet; zwar ist die Quaderrüfe mit der Tidrüfe gegen-
wärtig die kostspieligste, aber die Mühleholzrüfe ist in ihrer Macht oft eine Gefahr
für Vaduz gewesen und kann es immer noch sein. „Die Rüfegefahr läßt sich nie
beheben, sie kann durch die Verbauungen nur soweit gemildert werden, daß die
Rüfegänge kein katastrophales Ausmaß mehr annehmen“, stellt Rüfekommissär
Ludwig Wachter in seiner Denkschrift über die Rüfen fest.
Wer einmal dort gestanden, wo das Gaflei-, Mittlere und Rappensteintobel
zusammenstoßen, wer eine der drei Schluchten weiter hinauf verfolgt hat oder
ım wilden, zerfallenden Felsbereich des Gipsberges sich aufgehalten, der kann die
Wahrheit dieses Wortes ermessen, denn er ahnt die Gewalt, mit der die große
Rüfe ihr Verheerungswerk ausüben kann. Wie oft mögen unsere Vorfahren ın
Sorgen gelauscht haben, wenn sie polternd, rollend und rauschend zu Tal fuhr?
Vom Mühleholz bis zum Dorfkern steht Vaduz auf dem Schuttkegel dieser
Rüfe, an den Sonnenhalden wärmt ihr Kies den Wurzelstock der Vaduzer Reben,
und die Zusammensetzung des Gesteins gibt dem „Vaduzer“ seinen besonderen
Geschmack.
Da und dort ein altes Mauerwerk, tief im Boden gefunden, eine Hausschwelle
in 2 Meter Tiefe, eine Kalkgrube im Oberdorf 3 Meter unter der Erdoberfläche:
es sind Zeugen, daß die Rüfe ihr Unwesen trieb, als Vaduz schon besiedelt war.
1666 kam das Oberdorf in Gefahr, und gemeinsam mit dem Kloster St. Johann
ging die Gemeinde daran, an der gefährlichsten Stelle unter dem Zusammentreffen
der drei Schluchten ein Steinwuhr zu errichten, um die größte Gefahr zu bannen.
Aber die Güter draußen im unbesiedelten Ebenholz und Bartlegrosch waren zu
wenig wert, das Geld war viel zu rar und die Aufgabe zu übermächtig, als daß
die Kräfte des Dorfes zu einer systematischen Verbauung ausgereicht hätten, zu
der überdies damals die technischen Erfahrungen fehlten. Der Rhein war das vor-
dringliche Problem, dem alle Kraft gewidmet werden mußte.
So nahm man die Rüfegänge auf einzelnen Fluren als Schicksal hin. Im Grund-
ouch ist bei einem Hause samt Grundstücken ein Strich über das ganze Blatt