Volltext: Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung im Fürstentum Liechtenstein

b) in der sog. Ministeranklage, die aber nicht aus beliebigen politischen Erwägungen, sondern stets nur wegen des Vorwurfs der Verfassungs- oder Gesetzesverletzung erhoben werden konnte; zum Sturz der Regierung war das Parlament dagegen nicht befugt.»22 Verfassungsrechtlich betrachtet ist in Liechtenstein diese «konstitutionelle Landschaft» noch heute gegeben, indessen in stark veränderter Form: Aufgrund der Verfassung von 1921 ist der Regierungschef nicht mehr Funktionär des Fürsten, sondern ein Mann des Volkes. Damit hat die Gegenzeichnung ein stärkeres Gewicht erhalten. Da der Fürst ohne die Gegenzeichnung des Regierungschefs nicht handeln kann23, wird er im einem gewissen Masse von ihm abhängig. Der Fürst kann bei Meinungsverschiedenheiten den Regierungschef zwar endassen, kann ihn aber nicht zur Gegenzeichnung zwingen24, diese bleibt sein freier Entscheid.25 Der verfassungsrechtlichen Situation ist die Verfassungswirklichkeit ge­ genüberzustellen: Im Verlaufe der Zeit übernahmen die Minister nicht nur die Verantwortung, sondern auch die .Macht. Es fand eine weitgehende Umpolung von Entscheidung des Fürsten und ministerieller Gegenzeich­ nung zu ministerieller Entscheidung und fürstlicher Sanktion statt.26 Es geht heute nicht um eine Verantwortungsübernahme für die Entscheidungen 22 HERZOG, 120. 23 Selbst für die Landtagsauflösung durch den Fürsten besteht eine Gegenzeichnungspflicht, ebenso für notrechtliche Massnahmen i.S.v. An. 10 2. Satz LV (g.M. BATLINER, Parla­ ment, 32; NAWIASKY, 16; PAPPERMANN, Regierung, 135; STEGER, 81 u.a.; a.M. AMELUNXEN, 17), für Begnadigungen usw. (STEGER, 87 ff.). Auch bei mündlich erteilten Befehlen des Fürsten sieht STEGER eine - der Gegenzeichnung in der Wirkung vergleichbare - stillschweigende Verantwortungsübemahme der Regierung durch ihr Ver­ bleiben im Amt. Als gegenzeichnungsfreie Akte gelten insbesondere rein private Äusse­ rungen, fürstliche Verfügungen als Chef des Hauses sowie die Ernennung und Entlassung des Regierungschefs (PAPPERMANN, Regierung, 95 f.). 24 Übereinstimmend LOEBENSTEIN, 107; STEGER, 87 ff.; SCHEUNER, Verant­ wortung, 391; PAPPERMANN, Regierung, 92. 25 In diesem Zusammenhang ist die Frage von Bedeutung, ob durch die Gegenzeichnung das Regierungskollegium oder nur der Regierungschef in die Verantwortung eintritt. NAWIASKY (14) argumentiert, dass die Gegenzeichnung das persönliche Einverständnis des Regierungschefs bedinge. Sein Entschluss, einem Gesetz die Gegenzeichnung zu gewähren oder diese zu verweigern, könne durch das Kollegium nicht überstimmt wer­ den. Was ist daraus zu folgern ? 1. Die förmliche Verantwortung für den Gegenzeichnungs­ akt liegt allein beim Regierungschef. 2. Art. 78 der Verfassung begründet die generelle poli­ tische Verantwortung des Regierungskollegiums. Folgt man EICHENBERGERS (Staat, 382 f.) einleuchtender Unterscheidung in förmliche und materielle Verantwortung, so ergibt sich 3., dass der tatsächlich handelnde Minister dem Parlament gegenüber verant­ wortlich ist. 26 Vgl. HERZOG, 125 ff.; SCHEUNER, Verantwortung, 388. 36
	        

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