..Die bewegten Wolkengebilde, die meine
Phantasie stets beschäftigten, regten zur
Plastik an. Da fand ich auf einmal, dass je-
ne fernen, wunderlichen Wolkengestalten
und -gesichter in den skurril gewachsenen
Bergföhren kleine Geschwister hätten. Weil
ausserdem die Wolken davonflogen, so griff
ich nach jenen mir nahen und seltsam ge-
vundenen Legföhren, die auf den obersten
Schrofen thronen. Vorerst beschnitzte ich
diese im geheimen mit dem Taschenmesser.
Im Bestreben, ein bodenständiges Reisean-
denken herzustellen, schnitzte ich dann klei-
ne Korkfiguren, die ich «Alpgeister» nannte.
Später ging ich an grössere Stücke. Wenn
mir das Rohmaterial ausgeht, so begebe ich
mich wieder auf die Wurzeljagd. Die interes-
santesten Stücke finde ich stets dort, wo die
Natur dem Baum den stärksten Widerstand
ontgegensetzt, also auf den exponierten,
schwer zugänglichen Felskämmen. Im ge-
schützten, weichen Boden hingegen sind die
Wurzeln nicht interessant. Das Gewinnen
und Bergen der oft schweren und unförmi-
gen Stücke ist nicht immer leicht. Man muss
dabei schwindelfrei und im Klettern geübt
sein. Oft nehme ich auch das Schnitzwerk-
zeug mit und bearbeite die Stücke an der
Fundstelle...
Rudolf Schädler im Schweizer Journal, August 1954